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Es war ein Werbespot

■ US-Sklaventreiber Bela Karolyi sieht trotz des Scheiterns seiner Turn-Grazien im Mehrkampf die Sportart im Aufwind

Atlanta (taz) – Wer im gewaltigen Georgia Dome ganz oben in der letzten Reihe sitzt, hat schon Schwierigkeiten, Basketball-Kolosse wie Shaquille O'Neal oder Arvidas Sabonis mit bloßem Auge auszumachen. Ein Winzling wie die US-Turnerin Dominique Moceanu ist von dort droben ungefähr so deutlich zu sehen wie vom Mond aus ein Sandkorn im Beach- Volleyball-Stadion. Dennoch sind auch diese Plätze dicht besetzt, wenn die vergötterten US-Turnerinnen zum Gerät schreiten. Würde man die Trennwand mit den Presseplätzen abreißen, welche die Riesenhalle in zwei Hälften teilt – eine für Turnen, eine für Basketball –, dann würden vermutlich auch auf der entfernten Seite 30.000 Leute sitzen – etliche davon in den höchsten Regionen.

Die in einem dramatischen Finale gewonnene Team-Goldmedaille hat dem ohnehin schon populären Turnen in den USA einen weiteren Schub versetzt, und am Donnerstag war sogar Präsident Clinton mit Familie erschienen, um im Mehrkampf der Frauen die Fortsetzung des Mattenmärchens zu erleben. Kaum jemand unter den 32.000 hatte ernsthaft daran gezweifelt, und so war die Enttäuschung groß, als die US-Turnerinnen eine nach der anderen aus den Medaillenrängen fielen.

Dabei hatte sich die Sache bestens angelassen. In den ersten beiden Runden legten Dominique Dawes und Shannon Miller vorzügliche Übungen hin, führten das Klassement an, und die anderen Turnerinnen spielten brav ihre Statistenrollen. Allenfalls die ehrwürdige Swetlana Boginskaja (23) bekam noch ein wenig Beifall ab, ansonsten zählte nur „USA, USA“. Gelangweiltes, müdes Klatschen, wenn sich die anderen Nationen an Schwebebalken, Stufenbarren, Sprung oder Boden mühten, frenetisches Gebrüll, wenn ein sternengebanntes Trikot in Sicht kam. Besonders übel dran waren die armen Mädchen, die am Boden turnen mußten, wenn Dawes, Miller oder Moceanu gerade eine Übung beendeten und der aufbrausende Jubel die Musik vollkommen übertönte. Die Rumänin Lavinia Milosivici mußte ihre Darbietung deshalb sogar unterbrechen.

Bela Karolyi, 1981 aus Rumänien entfleuchter Chefcoach der USA, wies jede Kritik am patriotischen Taumel natürlich empört zurück. „Man kann doch die Emotionen des Publikums nicht beeinflussen“, sagte er, außerdem habe er in Moskau Schlimmeres erlebt: „Da wurden Konkurrentinnen ausgebuht, was im Turnen normalerweise nicht üblich ist.“ So weit ging das US-Publikum nicht, die Schmähung der Gegnerschaft ist in Atlanta bislang den deutschen Fans, etwa beim Hockey, vorbehalten. Unhöflich waren die Ovationen allemal, aber sie endeten abrupt in der dritten Runde. Sowohl Miller als auch Dawes strauchelten bei ihrer Bodenübung, ebenso wie ganz zum Schluß die führende Chinesin Mo Huilan.

Bei den minimalen Punktdifferenzen sind solche Patzer nicht mehr wettzumachen, und so geriet der Wettbewerb am Ende zu einer Art Neuauflage der Europameisterschaft. Gold holte sich mit einer exzellenten Bodenübung die ukrainische Welt- und Europameisterin Lilia Podkopajewa, die restlichen Medaillen gingen an die Rumäninnen Gina Gogean (Silber), Simona Amanar und Lavinia Milosivici (beide Bronze), die zwar – außer Amanar beim Sprung – keine herausragende Übung zeigten, aber beständig gut turnten.

Bela Karolyi, einst unter anderem Trainer von Nadia Comaneci und mit einem soliden Sklaventreiberimage behaftet, nahm das Scheitern seiner drei Gold-Grazien nicht sonderlich tragisch, zumal noch die Einzelkonkurrenzen auf dem Programm stehen. Die Hauptsache wäre, sagte er, daß die Halle jedesmal voll gewesen sei, sogar beim Training. „Das war bisher ein Werbespot für das Turnen. Tausende von Eltern werden jetzt ihre Mädchen in die Turnhallen bringen, damit sie diesen Sport betreiben.“ Beste Aussichten für Bela Karolyi und seinesgleichen. Matti Lieske

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