Der „Barbier von Bebra“ scheidet die Geister immer noch

■ betr.: „Boykottaufruf gegen die taz“, taz vom 15.8. 96 sowie „Tä terhumor“, taz vom 21.8. 96

Also gut, der Bundestagsbriefkopf von Vera Lengsfeld war wohl ungeschickt in diesem Zusammenhang, und ein Aufruf zum Boykott der taz mag überzogen sein, sichert dem Anliegen aber immerhin Aufmerksamkeit. Entscheidend finde ich jedoch den inhaltlichen Ansatz von Vera Lengsfeld, und der ist mir mit seinem humanistischen Impuls unendlich viel näher als die schenkelklopfende Primitivität der Herren Droste und Henschel. Deren einhellige Unterstützung in den LeserInnenbriefen vom 19.8. (überwiegend von Männern!) haben mir fast angst gemacht: Angst vor soviel geballter Selbstgefälligkeit, Arroganz und Rechthaberei gegenüber einer vom Mainstream abweichenden Meinung.

Dabei trifft der Zensur-Vorwurf voll daneben, denn nirgends wurden Verbotswünsche geäußert, weder gegenüber dem zu erwartenden „Barbier“-Buch noch gegenüber der taz (ein Boykott ist keine Zensur). Was Vera Lengsfeld einfordert und was ich voll unterstützen möchte, ist die Wahrung der Würde von Menschen auch und gerade angesichts ihrer Wunden und Verletzlichkeiten. Hinter der brachialen Tabulosigkeit vermute ich fehlenden Kontakt zur eigenen Verwundbarkeit. Wer dafür kein Gespür hat, kann sich ja das Buch kaufen, nur möchte ich solche Geschmacklosigkeiten nicht weiter auf meinen teuren taz-Seiten vorfinden.

Ich vermute, die Auswahl der bisher veröffentlichten LeserInnenbriefe war sehr selektiv, und fordere von der taz, auch anderen Stimmen Raum zu geben. [...] Elisabeth Voß, Berlin

(Anmerkung der LeserInnenbriefred.: Natürlich war die Auswahl der bisher veröffentlichten LeserInnenbriefe zu diesem wie auch zu anderen Themen selektiv: Bei mittlerweile weit über 200 Briefen ist das angesichts des zur Verfügung stehenden Platzes gar nicht anders möglich. Tatsache ist aber, daß bis zum erwähnten 19.8. die überwältigende Mehrheit der Briefe genau dem Tenor, wie auf der LeserInnenbriefseite dokumentiert, entsprachen. Bis heute sind allerdings auch andere Stellungnahmen eingegangen, von denen wir selbstverständlich eine – selektive, wie das Wort schon impliziert – Auswahl veröffentlichen.)

Ich finde es frech, Frau Lengsfeld Humorlosigkeit zu unterstellen, nur weil sie über den „Barbier“ nicht lachen kann. Warum streicht Ihr diese Story nicht tatsächlich aus Eurem Programm? Sie ist meiner Ansicht nach niveaulos und blöd – nicht mehr und nicht weniger. Claudia Pflitsch, Aachen

[...] Ich halte den „Barbier von Bebra“ weder für spannend noch für amüsant. Ich kann dieser Art von „Humor“ auf Kosten anderer nichts abgewinnen. Ich kann auch die Empörung von Vera Lengsfeld nachvollziehen. Dennoch halte ich es für verfehlt, ein nach wie vor essentielles Mitglied der deutschen Presselandschaft mit Boykottaufrufen zu überziehen, in einer Situation, in der die Zeitung um ihr ökonomisches Überleben kämpft. Die taz ist zu wichtig. Jörg Haas

Mich erschrecken seit Jahren Droste-Artikel in der taz. Ich habe keinen Artikel von Wiglaf Droste gelesen, in dem nicht andere Menschen abgewertet werden (und das in für mich meist sehr geschmackloser Art), sei es aufgrund ihres Äußeren, ihres Verhaltens oder ihrer Meinungen, die sie vertreten. Das hat bei mir in letzter Zeit dazu geführt, daß ich Artikel von ihm nicht mehr lese. Ich bin auch immer wieder irritiert, daß die taz Artikel von ihm veröffentlicht und damit der Äußerung eines Menschenbildes Raum gibt, das den in anderen Artikeln geforderten Rechten nach Anerkennung der Menschenwürde konträr entgegensteht. Aufgrund der Debatte um den „Barbier“ habe ich in den Roman reingelesen und kann die Empörung von Lengsfeld und Weiß verstehen. Ich selber möchte den Faschismus-Vorwurf nicht erheben, weil mir der Begriff zu unscharf ist. Ich wünsche mir eine Zeitung, die respektvoll mit anderen Menschen umgeht und die Bedürfnisse anderer Menschen achtet. Ich hoffe, daß durch die laufende LeserInnendebatte auch in der taz-Redaktion ein Überdenken der in Artikeln verbreiteten Menschenbilder stattfindet. Rita Woll, Bad Liebenzell

Sehr geehrte Frau Lengsfeld, was bitte soll an „mit verkleinerndem oder abschwächendem Suffix gebildeten Wörter mit abwertendem Sinn (Pejorativa)“ (Fremdwörter-Duden) so schlimm sein, daß Sie durch Ihren Boykottaufruf mutwillig den Arbeitsplatz von einer Menge Menschen aufs Spiel setzen? Beispiele wären für das Verständnis sicher hilfreich, vor allem für „jene Pejorativa, mit denen die Nazis sogenannte ,Untermenschen‘ zu beschreiben pflegten“. [...] Zu Rudi Dutschke wäre zu sagen, daß dieser schon vor einigen Jahren Thema in der Titanic (bekannt?) war, ohne daß es einen Sturm der Entrüstung oder gar die Androhung der Existenzvernichtung gegeben hätte. Auf solche Schnapsideen kommen halt nur Politiker (Rudi Carrell vs. Ajatollah Chomeini, Titanic vs. Björn Engholm und Sie mit Ihrem Kollegen Weiß). „Obwohl 98 Prozent selbst der kritischen Reaktionen auf die Veröffentlichung vom 15.8. 96 einräumen, daß es sich beim „Barbier von Bebra“ um ein geschmackloses („wo Droste draufsteht, ist eben auch Droste drin“) Werk handelt.

Wo stehen denn diese Reaktionen? Wer sagt denn, daß Droste automatisch geschmacklos ist? So wie ich den Boykottaufruf verstanden habe, richtet sich dieser gegen den Inhalt und nicht gegen die literarische Qualität. Aber Hauptsache, was zum Draufschlagen gefunden. Wer sich selbst nicht so tierisch wichtig nimmt, sondern mit etwas Selbstironie durchs Leben geht, hat auch die nötige Gelassenheit, um solche „Anwürfe“ seiner Person oder seines Umfeldes mit Humor zu nehmen. [...] Eberhard Wieber, Offenburg

Zum wirklich dämlichen Boykottaufruf von Vera Lengsfeld gibt es nicht viel zu sagen, was nicht schon gesagt wurde. Aber Eure überragende Auseinandersetzung mit ihr, hoch kritisch, differenziert und mutig, hat uns mal wieder von Euch überzeugt.

Es lebe die taz. Hoch leben ihre Macher. Wir spenden ein Abo. Mit besten Wünschen Annika Herchenröther,

Stephan Wamser

Nach der Lektüre des Kommentars von Vera Lengsfeld kann ich ihre Einschätzung, daß die zweifelhaften (irgendwie spätpubertären) Ergüsse von Droste und Henschel einen Boykott der taz rechtfertigen, auch nicht teilen. Aber ich warte auf einen Hinweis der Redaktion, was sie bewogen hat, wertvollen Platz für den wohl schlechtesten taz-Beitrag aller Zeiten zur Verfügung zu stellen. Droste und Henschels „Roman“ ist nicht nur langweilig (nach Reich- Ranicki der schlimmste Vorwurf, der einen Text treffen kann), er ist obendrein geschmacklos und grottenschlecht. Zahlt Ihr den Urhebern etwa ein Honorar dafür? Achim Stenzel, Lübeck

Auch mir geht es fast jedesmal so wie Herrn Konrad Weiß, wenn ich Artikel von Herrn W. Droste lese. Diese Art zu schreiben erinnert mich an den Faschismus. Ich bin eine Überlebende und Ihrer Meinung nach überempfindlich und leide an Verfolgungswahn. Nein – wenn das die neue Tendenz der taz sein wird, werde ich sie nicht mehr lesen und sie mit einem Abo unterstützen. (Die Bild und die FAZ lese ich ja auch nicht). Ingeborg Michael, Gelsing

Noch nie war ich eine so glühende Verehrerin der taz wie in den Tagen des „Barbiers von Bebra“! Nach diesem Geständnis ein ernsthafter Tip: Warum fragen Frau Lengsfeld und Herr Weiß nicht mal Kommissarin Güzel? Womöglich wäre sie bei der Aufklärung und Beseitigung ihrer verstrickten Fälle ohne die taz niemals so weit gekommen! In diesem Sinne alles Gute der taz und den Bürgerrechten! Elke Allinger-Lauer, Leonberg

[...] Eine kurze Umfrage unter hiesigen LeserInnen verschiedener Altersgruppen ergab die entschiedene Solidarisierung mit der „Wahrheit“, obwohl der Sommerroman sehr unterschiedlich bewertet wird.

Bislang gefiel mir die Lektüre dann am besten, wenn ich die Episoden in falscher Reihenfolge las. So konnte, ohne vom öden Plot gestört zu werden, das Geschick der Autoren desto heller funkeln, Topoi und Metaphern, Scherz und Schmerz mit leichter Hand ineinander zu verweben. Diese kleine Studie des Praktikanten Pril aus Folge 13 einfach klasse, eines Grass, was sag ich! – eines Kempowski würdig. Christoph Danelzik-Brüggemann, Dortmund

Auf den Artikel von Jörg Lau hin habe ich mir den Fortsetzungsroman vorgenommen: Wie zu erwarten eine Mischung aus amüsanten Details, Blödsinn und Einzelheiten, die man durchaus geschmacklos finden kann. Dies aber als Ausdruck der „Denkungsart deutscher Diktaturen“ (!) (mit Beispielen aus der Nazizeit) zu charakterisieren, scheint mir, um es höflich auszudrücken (schließlich gehöre ich derselben Partei an wie Vera Lengsfeld), von einer außerordentlichen Verwirrung der Begriffe zu zeugen. Politisch gefährlich und in Anbetracht dessen, was in der Nazizeit wirklich passiert ist, moralisch verwerflich, wenn nicht eigentlich obszön: So hat Jörg Lau die Argumentation von Vera Lengsfeld und Konrad Weiß völlig zu Recht gekennzeichnet. Andreas Unger, Berlin