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Frei, flexibel, selbständig - und ohne soziale Absicherung: So sehen die Jobs von morgen aus. Eine Million davon gibt es schon heute, besagt eine neue Studie beim Bundesarbeitsministerium. PublizistInnen, VerkäuferInnen oder auch Handwerker

Frei, flexibel, selbständig – und ohne soziale Absicherung: So sehen die Jobs von morgen aus. Eine Million davon gibt es schon heute, besagt eine neue Studie beim Bundesarbeitsministerium. PublizistInnen, VerkäuferInnen oder auch HandwerkerInnen schuften als Selbständige für nur einen Auftraggeber – viele davon jenseits der Legalität. Die Gerichte urteilen noch unterschiedlich.

Die Grauarbeiter von heute

Der Deal mit dem Chef ist gar nicht so schlecht: 6.000 Mark im Monat auf die Hand. Zwar ohne gesetzliche Sozialversicherung, Urlaubsgeld gibt's auch nicht, trotzdem schlägt die 33jährige Graphikerin ein. Das Honorar ist doch gut. Eine private Krankenversicherung ist in jungen Jahren noch billig. Und deine Rentenbeiträge siehst du sowieso nie wieder. Die junge Computerdesignerin gehört zu jenen, die in einer Grauzone zwischen Selbständigkeit und ArbeitnehmerInnenstatus schuften. Das tun knapp eine Million Berufstätige, ergibt sich aus einer noch unveröffentlichten Studie beim Bonner Bundesarbeitsministerium. Im Auftrag des Blüm-Ministeriums haben SozialforscherInnen vom Nürnberger IAB-Institut rund 21.000 Personen nach ihrem Erwerbstätigenstatus und den genauen Arbeitsbedingungen befragt. Die ForscherInnen rechneten die Zahlen dann auf die Wohnbevölkerung hoch. Ergebnis: 940.000 Erwerbstätige ackern in einer rechtlichen Grauzone. Darunter fallen Selbständige, die ohne Angestellte und im wesentlichen für nur einen Auftraggeber schuften. Auch freie MitarbeiterInnen, deren ArbeitgeberInnen keine Sozialversicherungsbeiträge abführen, gehören zu diesen GrauarbeiterInnen.

Vergleichsweise viele GrauarbeiterInnen kommen aus technischen und kaufmännischen Berufen, sind PublizistInnen, Lehrkräfte, Geistes- und NaturwissenschaftlerInnen und haben einen Hochschulabschluß. Überproportional viele Frauen und eher Jüngere zwischen 30 und 40 Jahren arbeiten auf eigene Rechnung.

Oft werden diese GrauarbeiterInnen als Scheinselbständige bezeichnet. Dabei muß es sich nicht um gesetzwidrige Arbeitsverhältnisse handeln, geht aus der Studie hervor. Denn für die Arbeits- und Sozialgerichte ist nicht allein entscheidend, ob die Selbständige nur für einen einzigen Auftraggeber tätig ist; wichtiger ist die Frage, inwieweit die GrauarbeiterInnen weisungsgebunden sind.

So entschied das Arbeitsgericht Nürnberg Anfang September, daß ein Versicherungsvertreter, der laut Vertrag nur für ein einziges Unternehmen tätig sein darf, durchaus als normaler Selbständiger und nicht als verkappter Arbeitnehmer anzusehen sei. Da in diesem Fall der 55jährige Vertreter im Gegensatz zu einem Arbeitnehmer an keinerlei Weisung des Auftraggebers gebunden war, gelte er als Selbständiger, entschied das Gericht. Die wirtschaftliche Abhängigkeit allein führe nicht automatisch zum Anspruch auf Arbeitnehmerschutzrechte. Freischaffende ÜbersetzerInnen oder FotografInnen für einen Verlag, die sich ihre 60-Stunden-Woche selbst einteilen können, gelten damit juristisch als Selbständige.

Das Berliner Landessozialgericht gab dagegen unlängst einer klagenden Propagandistin recht. Die Frau verkaufte Haushaltswaren in Kaufhäusern. Ein Marketingunternehmen hatte die frühere Verkäuferin als „Werbedame/Propagandistin“ weiterbeschäftigt und ihre Tätigkeit als selbständig deklariert. Das Gericht bejahte jedoch ein „persönliches Abhängigkeitsverhältnis“ der Frau vom Arbeitgeber. In Berlin wurde ein Fahrradkurierunternehmen dazu verurteilt, für seine RadlerInnen Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen. Die Gewerkschaft DAG klagt derzeit gegen die Deutsche Bank, weil diese 300 freie FinanzberaterInnen mit „an Sittenwidrigkeit grenzenden Arbeitsverträgen“ an sich binde.

Um ihren Status zu ermitteln, befragten die SozialforscherInnen daher die GrauarbeiterInnen, inwieweit sie örtlich, zeitlich und fachlich gegenüber ihrem Auftraggeber weisungsgebunden sind. Auch die Zusammenarbeit mit MitarbeiterInnen des Auftraggebers und die Nutzung von dessen Gerätschaften wurden erfragt. Nach diesen Kriterien sind hochgerechnet 179.000 Erwerbstätige aus der Grauzone juristisch gesehen abhängige ArbeitnehmerInnen und daher gesetzwidrig beschäftigt. Hinzu kommen noch 282.000 Semi- Abhängige, die nur teilweise Arbeitnehmerkriterien aufweisen.

Die GrauarbeiterInnen wurden darüber hinaus nach ihrer unternehmerischen Freiheit befragt; wird diese als Maßstab genommen, müßten 410.000 vermeintlich Selbständige als ArbeitnehmerInnen versichert werden. Freischaffende AkademikerInnen hätten es wohl weniger leicht, sich in feste Arbeitsverhältnisse einzuklagen: Sie sind seltener an direkte Weisungen ihres Auftraggebers gebunden. Besser sieht es bei nicht festangestellten FliesenlegerInnen, MaurerInnen oder KraftfahrerInnen aus.

Weil der Renten- und Arbeitslosenversicherung durch die GrauarbeiterInnen Millionen an Beiträgen entgehen, werden jetzt auch die PolitikerInnen aktiv. Brandenburgs Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD) und der nordrhein-westfälische Sozialminister Hans-Jörg von Einem (SPD) haben kürzlich eine einschlägige Gesetzesinitiative im Bundesrat angekündigt. Demnach soll eine alleinschaffende UnternehmerIn, die regelmäßig für nur einen Auftraggeber tätig ist, die für Beschäftigte typischen Arbeitsleistungen erbringt und nicht selbst als UnternehmerIn frei entscheiden kann, künftig als ArbeitnehmerIn gelten. Würde das Arbeitsrecht so geändert, müßten bis zu einer Million Erwerbstätige künftig Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Barbara Dribbusch, Bonn

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