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■ SURFBRETTBetablocker gegen Pixelschmerzen

Erinnert sich noch jemand an den Kampf der Gewerkschaften gegen die Bildschirmarbeit? Nein? Höchstens zwei Stunden hintereinander, dann zehn Minuten Zwangspause, so lauteten die Forderungen. Rührend naiv klingen sie heute. Zwei Stunden Welt Weit Warten sind das mindeste, danach beginnt der Spaß erst richtig und hoffentlich ohne Pause. Der nächste Absturz kommt sowieso, solange bleiben wir beinhart auf der Leitung.

Das kann nicht gut sein für die menschliche Gesundheit. Doch die Gewerkschaft ist verstummt in dieser Frage. Nur eine – natürlich amerikanische – Brillenfirma wirbt mit dem einsichtsvollen Satz für sich: „Die Evolution hat Dich auf die Pixel nicht vorbereitet.“

Ob die Bildschirmbrillen ein gutes Geschäft sind, die der viel zu langsamen Natur nachhelfen sollen („unique“), ist auf der Website http://www.pico.com so schnell nicht zu erkennen. Das Werbegesamtkunstwerk ist ziemlich zeitraubend aufgebaut, schwarzer Hintergrund und neonbunte Schriften sind auch nicht genau das, was Augenärzte empfehlen würden. Gute Ratschläge aber sind deutlich billiger geworden, seit auch Mediziner im Internet Homepages basteln. Ganz ohne Gebühren stellt zum Beispiel der Schweizer Neurologe Dr. Ulrich Oswald sein Spezialwissen über Kopfschmerzen zur Verfügung: http://ourworld.compuserve .com/homepages/ulrich_oswald/dhome pag.htm. Die schweizerdeutsche, genauer: züritüüttschi Fassung des Textes ist nur bei klarem Kopf zu empfehlen (aber ein Juwel), bei ordinärer Computermigräne helfen die deutsche und die englische Version wahrscheinlich besser weiter – falls sie überhaupt helfen. „Kopfweh ist die Krankheit des sonst gesunden Menschen“, sagt der Doktor aus Zürich. In der Regel sind wir schlicht selbst schuld, wenn der Schädel brummt. Wir sitzen verspannt vor dem Bildschirm, sind depressiv oder sonst schlecht drauf. Und wenn ohnehin alles zu spät ist, die Schädeldecke pocht, dann greifen wir auch noch zum falschen Mittel, nämlich zu Schmerztabletten, die nach einiger Zeit selbst Kopfschmerzen verursachen.

Der Netdoc empfiehlt statt dessen leichtes Lauftraining im Stadtpark, Betablocker und Antidepressiva – nein, da kennt er überhaupt kein Erbarmen mehr: Die technophilen Netheads haben nun mal nichts anderes verdient als diese allerhärteste Chemie. Es gibt aber Fälle, in denen selbst dieses Zeug nicht mehr hilft. Dann schlägt die Stunde der Wahrheit. Dann muß man den Computer ausschalten. niklaus@taz.de

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