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Gaben & geben lassen

Nicht umsonst und nicht aus Liebe: Die Wahrheit über den Nutzen des Schenkens  ■ Von Silke Mertins

Geschenkt wird, um die soziale Bindung zu stärken, um sich einen persönlichen Vorteil zu verschaffen, um Defizite zu kompensieren oder um den anderen zu strafen. Uneigennütziges Schenken ist nach dem Stand der ethnologischen Forschung weltweit unbekannt. Um die Reziprozität des Gebens zu veranschaulichen, sei hier eine Fallstudie vorgestellt. Als Probanden stellte sich eine Gruppe von Menschen einer kleinen alternativen Tageszeitung in einer großen norddeutschen Stadt zur Verfügung.

Typischerweise neigen die Schenker dazu, ihre Motive zu verschleiern. Die hier untersuchte Testgruppe stand insbesondere bestimmten Anlässen des Schenkens („Weihnachten“ – ein religiöses Fest) aufgrund eines subkulturellen Wertewandels mißtrauisch gegenüber. Der Anlaß „Geburtstag“ wird dem Anlaß „Weihnachten“ vorgezogen. Der Vollständigkeit halber soll nicht unerwähnt bleiben, daß vereinzelt auch Nicht-Schenker auftreten.

Der stabilisierende Schenker

Er schenkt, um selbst beschenkt zu werden. Aus Scham mögen manche nicht sagen, daß die Bilanz am Ende stimmen muß. „Heftiger Sozialdruck“, „Konvention“ oder „weil es Spaß macht“ geben die stabilisierenden Schenker selbst als Schenkungsgrund an. Im Unterschied zum Selberkaufen müssen beim Schenken Aufmerksamkeit und Mühe in den anderen investiert werden. Das stärkt die gegenseitige Bindung, verpflichtet und läßt Konflikte glimpflicher verlaufen; schließlich hat man sich schon mal etwas geschenkt. Je intensiver das Bedürfnis zur Stärkung der sozialen Beziehung empfunden wird, desto größer ist der Aufwand, mit dem geschenkt wird. „Da mache ich keine Kompromisse“, gab eine Testperson an.

Der berechnende Schenker

Er will mit seinem Geschenk die Gunst eines anderen Menschen gewinnen oder stärken. Zwar ist dieser Schenker bei einer sich anbahnenden Liebesbeziehung besonders häufig anzutreffen, doch auch außerhalb dieser wird heftiger umworben. „Wenn ich jemandem etwas schenke, würde es ihm schwer fallen, mir böse zu sein“, gab die Probandin B. an. Man erwirbt mit dem Geschenk eine sozialverträgliche Pufferzone. Zu schenken, ohne ein Geschenk zurückzubekommen, „läßt mich sehr gut dastehen“. Denn allen ist klar: Es wird etwas zurückerwartet. Und zwar Loyalität und Unterstützung der Interessen des anderen.

Der wiedergutmachende Schenker

Er will Fehlverhalten im Alltag mit Geschenken kompensieren. Mit „scheinbar liebevoll ausgesuchten Geschenken“ will die Testperson U. ihren ungehemmten Zugriff auf fremde Besitzstände neutralisieren. „Ich schnorre stetig und verteile punktuell Geschenke. Ich hoffe, daß die Bilanz am Ende stimmt.“ Andere wiedergutmachende Schenker versuchen, ihre Unzulänglichkeiten im Sozialverhalten zu korrigieren. Denn „ich muß mir überlegen, wer der andere ist und was dem anderen gefällt – das vergesse ich sonst gerne“.

Der bösartige Schenker

Er will den Beschenktenstrafen oder seine Mißach-tung zum Ausdruck bringen. Zum Beispiel durch ein besonders lieblos ausgesuchtes Geschenk. Es kann aber auch etwas ausgesprochen Unnützes oder Unpassendes sein. Damit will der Schenker ausdrücken: Ich habe mir keine Gedanken über dich gemacht oder mir fällt zu dir nichts ein. Es kann aber auch gezielte Rache für einen zurückliegenden Streit sein. Einige scheinen besonders häufig Opfer von bösartigen Schenkern zu werden. „Ich kriege nur Mist geschenkt“, gab etwa der Proband W. zu Protokoll.

Der Nicht-Schenker

Er glaubt, den stabilisierenden Effekt des Schenkens nicht nötig zu haben. Oft empfindet er sich als sozial höher stehend und damit unabhängig vom Wohlwollen der anderen. Zwar mißachtet er bewußt die sozialen Regeln, stellt aber trotz seiner Deformation keine ernsthafte Gefahr für das Beziehungsgefüge dar. Denn auch das Nicht-Schenken ist reziprok: Er gibt nichts und kriegt nichts zurück.

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