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„Elan, Stärke und Dynamik“

Die Fußball-Nationalmannschaften aus Frankreich und Deutschland gewinnen wertvolle Erkenntnisse auf dem Weg zur Weltmeisterschaft 1998  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Es waren zwar nur zwei Freundschaftsspiele, aber die Partien Frankreich–Niederlande (2:1) und Israel–Deutschland (0:1) könnten durchaus von gesteigerter Bedeutung für die Weltmeisterschaft in Frankreich im nächsten Jahr gewesen sein. Brachten sie doch vor allem den Franzosen und den Deutschen heilsame Erkenntnisse, deren Wert sich auf dem holprigen Weg zum ersehnten Titelgewinn noch erweisen dürfte.

Die Franzosen gehören 1998 natürlich zu den großen Favoriten des Turniers. Zum einen haben sie Heimvorteil, zum anderen eine Mannschaft, die als einzige in der Lage ist, spielerisch mit den Titelverteidigern aus Brasilien mitzuhalten. Aber sie haben auch Aimé Jacquet. Einen Trainer, der nicht nur Topleute wie Cantona und Ginola verschmäht, sondern sein Heil auch vorzugsweise in der Defensive sucht.

Mit Michel Platini besaßen die Franzosen einst einen Coach, der kreativen Angriffsfußball liebte, aber nicht die Mannschaft dazu hatte; nun gibt es ein Team, in dem selbst die Ersatzspieler zu den begehrtesten Profis in den besten europäischen Ligen gehören, aber einen Trainer, der das große Potential in ein enges taktisches Korsett zwängt. Auf diese Weise hatte Jacquet zwar bis zum 0:1 in Dänemark vor einigen Monaten ewig lange nicht verloren, es aber auch geschafft, im EM-Halbfinale gegen Tschechien auszuscheiden. Nicht wenige Franzosen hätten es danach gern gesehen, wenn der vorsichtige Coach abgelöst worden wäre, etwa durch Jean Tigana, der den AS Monaco einen ungemein attraktiven Fußball spielen läßt, den Gladbach und der HSV im Uefa-Cup bestaunen durften.

Doch der Verband hält zu Jacquet, und dieser blieb sich auch am Mittwoch beim Spiel gegen die Niederlande in Paris treu. Für jeden anderen Nationaltrainer wäre das Fehlen eines Virtuosen wie Youri Djorkaeff, mit Inter Mailand im Pokal aktiv, ein harter Schlag gewesen. Nicht so für Jacquet, der ohnehin den eher biederen Zidane vorzieht und Djorkaeff auch beim 2:0 gegen Portugal im Januar erst Mitte der zweiten Halbzeit einwechselte.

Kaum hatte das Match im Prinzenparkstadion jedoch begonnen, machte Dennis Bergkamp einen dicken Strich durch das taktische Konzept der Franzosen. In der 3. Minute erzielte der Arsenal-Spieler das 1:0 für die Gäste, die die Partie fortan beherrschten. Die Schrecksekunde von Jacquet dauerte eine halbe Stunde, dann rang er sich endlich dazu durch, mit der Einwechslung des jungen Stürmers Robert Pires für den defensiven Pierre Laigle zur Offensive zu blasen. Von da an war es mit der niederländischen Herrlichkeit vorbei. Auch ohne Djorkaeff bewiesen die Franzosen in dem rasanten Spiel, daß sie seit der EM noch erheblich besser geworden sind. Dugarry und Zidane sind wesentlich spritziger als in England, und neben Pires sorgt inzwischen vor allem Ibrahim Ba, der uneigennützige und dynamische Angreifer mit der Dennis- Rodman-Frisur, für Verwirrung in den gegnerischen Reihen.

„Seinen Elan, seine Stärke und seine Dynamik“ habe Frankreich in der zweiten Halbzeit wiedererlangt, freute sich Jacquet. Bleibt die Frage, ob er die entsprechenden Lehren daraus gezogen hat. Auf jeden Fall reichte die Offensivgewalt zum 2:1-Sieg nach Treffern von Pires (74.) und dem eingewechselten Loko (84.).

Daß der Europameister aus Deutschland weit von der spielerischen Klasse der Franzosen entfernt ist, ist seit langem bekannt. Das Spiel gegen Israel zeigte jedoch eindrücklich, daß eine ganze Menge Mannschaften in Europa den Deutschen technisch überlegen sind. „Die Albaner, die Ukrainer und die Armenier spielen ähnlich wie dieser Gegner“, zürnte Berti Vogts nach dem streckenweise peinlichen Match, das am Ende glücklich mit 1:0 gewonnen wurde. „Wenn unsere Spieler nicht wissen, daß man auch Kraft aufbringen muß, um zu gewinnen, wird man sich nicht für die WM 1998 qualifizieren.“

Mit der Arroganz des Europameisters, der fälschlicherweise glaubt, sein Triumph müsse Folge fußballerischer Genialität sein, waren die Deutschen nach Tel Aviv gekommen. „Wir haben einfach zu wenig getan“, erklärte Matthias Sammer die Tatsache, daß ein eigentlich sehr offensiv eingestelltes Team in der ersten Halbzeit ständig unter Druck stand. Die deutsche Abwehr, vom Mittelfeld kaum unterstützt, sah meist nur staunend zu, wie die ballgewandten, flinken Israelis vorbeisausten. Nur das Tor trafen diese nicht. Wie Albanien, die Ukraine und Armenien, weshalb sich Berti Vogts und seine Mannen wohl doch für die WM qualifizieren werden.

Immerhin wissen sie nun, daß es auch gegen vermeintlich schwache Gegner des vollen Einsatzes bedarf, wenn man sie besiegen will. Dies beherzigten die Deutschen ansatzweise in der zweiten Halbzeit, nachdem ihnen Vogts erklärt hatte, daß, wer nicht den Zweikampf suche, lieber Tennis spielen sollte. Eine heilsame Lektion, deren Umsetzung fünf Minuten vor Schluß sogar den Siegtreffer durch den Bochumer Dariusz Wosz brachte, dessen Emsigkeit im lethargischen Umfeld um so positiver auffiel.

Eine Lektion hatte nach Meinung der Presse auch Israel erhalten, wo sich das Interesse an dem Fußballmatch in Grenzen hielt – wichtiger war die Qualifikation für die Basketball-EM durch einen Sieg gegen Weißrußland. „Anscheinend kann man nicht zum europäischen Fußball gehören, ohne das Erlebnis der Frustration durch die deutsche Nationalelf durchzumachen“, schrieb die Zeitung Maariv gestern. „Nachdem der Rauch verflogen war, stellte sich heraus, daß die Deutschen ein Tor mehr geschossen hatten. Die Deutschen schießen nämlich immer ein Tor mehr.“ Das Blatt Haaretz hingegen bedauerte, daß man aus der Partie gegen den Europameister „über das wirklich wichtige Spiel in einem Monat gegen Luxemburg“ leider nichts lernen könne. Berti Vogts hat auch schon mal erhebendere Komplimente bekommen.

Deutschland: Kahn - Sammer - Kohler - Babbel, Eilts, Ziege - Basler (89. Heinrich), Möller, Wosz - Klinsmann, Bobic (46. Kirsten)

Zuschauer: 15.000; Tor: 0:1 Wosz (85.)

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