piwik no script img

Niemals die Nerven verloren

Der geläuterte VfB Stuttgart gewinnt 4:1 gegen Borussia Dortmund, schweigt von der Meisterschaft und genießt die Glückseligkeit des Augenblicks  ■ Von Thilo Knott

Stuttgart (taz) – Wenn Ottmar Hitzfeld von einer „bitteren Niederlage“ spricht, dann erwartet man gemeinhin einen profunden Grund des Analytikers für die Bitterkeit des Verlierens. Was erklärt eine 1:4-Schlappe des Klassenprimus beim VfB Stuttgart? Was waren die sogenannten Knackpunkte des Spitzenspiels am Samstag? So es sie denn überhaupt gab. All das wollte Hitzfeld aber nicht liefern. Statt dessen haderte er – wie konnte es anders sein – mit Schiedsrichter Bernd Heynemann und verfiel in einen Dortmunder Tenor, der allerdings schnell ins Leere laufen sollte.

Als Erklärung nämlich mußte der von Balakow verwandelte Elfmeter (Kohler an Elber) herhalten, der die Dortmunder Führung durch Stefan Reuter von Minute acht egalisierte. Das sei, sagte Hitzfeld, „klar keiner gewesen“. Matthias Sammer vermochte zu adjutieren: „Ich weiß auch, daß es keiner war.“ Und vor allem der direkt betroffene Jürgen Kohler wußte: „Das war ein ganz normaler Körperkontakt.“ Wenn der rustikale Kohler das sagt, ist es allerdings nicht unbedingt Indiz für die Falschheit eines Elfmeterpfiffs. Schließlich war es Hitzfeld höchstselbst vorbehalten, den nichtigen Ausreden ein Ende zu bereiten. „Das 1:0“, erklärte Hitzfeld, „hat uns aus dem Tritt gebracht.“ Jetzt meinte Dortmunds Vorarbeiter freilich nicht die eigene Führung, sondern eben jenen Ausgleich per Elfmeter. Doch der Versprecher offenbarte: Die Dortmunder Suche nach Erklärungen für die Stuttgarter Ohrfeige endete im Nirgendwo. Obgleich Hitzfelds Verwechslung der Ereignisse den Geschehnissen auf dem Platz noch am nächsten kam. Die Führung nämlich kam viel zu früh. Was der Taktik der letzten Auftritte wenig entsprach, sich ohne Glanz und Gloria von Sieg zu Sieg zu mogeln. Doch der amtierende Meister hielt daran fest – 82 Minuten lang.

Das mag funktionieren gegen den Freiburger oder Rostocker Tabellenkeller. Nicht aber gegen eine Mannschaft, die „auf Rückstände immer reagieren kann“, wie Stuttgarts Trainer Joachim Löw die Vorzüge der Seinigen beschrieb. Haben die Bewegungsspieler denn auch sehr passabel getan: Noch in Halbzeit eins per Samstagsschuß von Frank Verlaat, in Halbzeit zwo durch Treffer von Elber und Soldo. Was des Präsiden Augen funkeln ließ: „Das war eine sehr schöne Sache“, sagte Gerhard Mayer-Vorfelder, „weil die Bundesliga jetzt wieder spannend wird.“ Und wiederholte: „Eine sehr schöne Sache.“

Nicht nur schön, sondern für Fredi Bobic vor allem erkenntnisreich. „Einen Reifeprozeß“ habe seine Mannschaft durchgemacht, nach all den Querelen um Schiedsrichter-Verfolgungswahn und all dem Handfesten von Legat (Silvester) bis Verlaat (Brille). Ruhiger und nachdenklicher sei man geworden beim VfB Stuttgart, sagt Bobic. Der Grund für die plötzliche Introversion: „Wenn du so viel auf die Fresse kriegst, muß du irgendwann daraus lernen.“

Die neue Errungenschaft dokumentierte der VfB Stuttgart über komplette 90 Minuten. Stets die Ruhe bewahrt, so Bobic, habe der VfB, „nie die Nerven verloren“. Weshalb Trainer Löw seinen Gemütszustand als „überwältigt“ und „ziemlich sprachlos“ vermerkte, weil sich die Seinigen derart erfolgreich „auf das Wesentliche konzentriert haben“. Das Wesentliche? Das ist für Mayer-Vorfelder ein künftiger internationaler Wettbewerb. „Jetzt können wir davon reden, daß wir den Uefa-Cup schaffen müssen.“ Gut in Bescheidenheit gemayer-vorfeldert, bei zwei Punkten Rückstand auf Rang eins und zehn Zählern Vorsprung vor dem ungeliebten UI-Cup.

Die Zurückhaltung hat scheinbar alle befallen beim VfB. „Warum soll ich mich hinstellen und sagen, ich will Meister werden“, zementierte Bobic. Warum eigentlich nicht? Joachim Löw schlängelte ebenso um die Frage: „Warum soll ich mich mit Dingen befassen, die noch so weit weg sind.“ Recht hat der nette Herr Jogi Löw ja. Warum nicht festhalten an der momentanen Glückseligkeit und einfach die Süße des Siegens auskosten?

Borussia Dortmund: Klos - Sammer - Kohler, Heinrich - Ricken (46. Tanko), Reuter, Lambert (61. Zorc), Möller, Reinhardt (61. Tretschok) - Chapuisat, Herrlich

Zuschauer: 53.000; Tore: 0:1 Reuter (8.), 1:1 Balakow (44./Foulelfmeter), 2:1 Verlaat (45.), 3:1 Elber (82.), 4:1 Soldo (84.)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen