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Ein Glück verdient

Beim 2:1-Erfolg gegen den VfB Stuttgart entdeckt Arminia Bielefeld den Kombinationsfußball  ■ Von Jörg Winterfeldt

Bielefeld (taz) – Stefan Kuntz war ziemlich verdutzt, als Ernst Middendorp nach dem Schlußpfiff schnurstracks in der Kabine zu ihm herüberwieselte, um ihn zum Dank für die dargebotene Leistung in den Arm zu nehmen. „Aber“, sagte Bielefelds Europameister, „es war ein schönes Gefühl.“ Weil die wahre Männerfreundschaft der beiden in der Sommerpause einen Knacks bekommen hatte, als der Stürmer des Trainers Kommunikationsdefizit öffentlich machte, fühlte Kuntz sich nach dem 2:1 gegen den VfB Stuttgart genötigt, Interpretationsmöglichkeiten auszuschließen: „Ganz ohne Sarkasmus, wirklich.“

Die Stimmung war gut an diesem Sommerabend auf der Alm. Sie war es, weil die Heimelf zur Premiere siegte. Aber nicht nur. Wirklichen Fußball mit Kombinationsspiel und Kunststückchen ist man in Bielefeld weitgehend von Glotze und Glamourgästen gewöhnt, die eigene Truppe pflegte beherzt über den Kampf und gelegentliche Geistesblitze ihres Dribbelkünstlers Giuseppe Reina zum Erfolg zu kommen. Wenn überhaupt. Über den Sommer hat der Trainer dann den einen oder anderen mehr oder weniger unspektakulären Kicker integriert, mit Ali Daei und Michael Sternkopf zwei davon aufgestellt, die Kollegen ein bißchen modifiziert positioniert, und plötzlich, durfte die Kundschaft nun schon zum zweiten Male in dieser Spielzeit beobachten, plötzlich stellte das internationalisierte Provinzensemble kreativere Künstler als der Gegner. „Wir“, bejubelte Kuntz die Entdeckung einer Spielkultur, „haben das Kick and Rush abgelegt.“

„Ich bin es nicht gewohnt“, haderte Joachim Löw, „daß wir nicht in der Lage sind, nachzurücken, und daß der Gegner 90 Minuten aggressiver, giftiger, zweikampfstärker ist.“ „Konservativ“, verkündete Middendorp, habe man dem Gegner das Getriebe versandet: „Bei den Paßwegen aus der Tiefe hatten wir alles im Auge und sind die Bälle dann ohne Foulspiel einfach abgelaufen.“ Nach über einer halben Stunde hatte VfB-Regisseur Balakow, durch seine Dauereskorte Reeb völlig von den Kollegen isoliert, die erste Torchance nach einem herausgeschundenen Freistoß. Das Stuttgarter Kurzpaßspiel und der Stürmer Laufwege hatte Middendorp den seinen mit Videos eingetrichtert. Allein beim Führungstreffer hakte das Konzept, als der Verteidiger Berthold „langen Schrittes durchgelassen wurde“ (Middendorp), um Bobic steil zu bedienen, der per Querpaß Akpoborie einsetzte. Deutlich feldüberlegen, gewonnen trotz zwei klarer, aber verweigerter Elfmeter – die Bielefelder hatten Freude an dem veränderten Kräfteverhältnis. „Wenn man den Gegner im Griff hat“, schwärmte Defensiv-Marathoni Meißner, „spielt es sich leichter.“ Der für den verletzten Maas spielführende Kuntz freute sich diebisch, „daß die viel mehr rennen mußten, weil wir bei abgefangenen Bällen sofort wieder in die Spitze gespielt haben“. Dort übernahm Ali Daei: Mit dem Titel „Welttorjäger des Jahres 1996“ ausgestattet, mußte der Iraner sich vor Wochenfrist noch als Exot vom Gegenüber Fredi Bobic belächeln lassen („50 Tore im Iran, die Bundesliga ist was anderes“). Dann aber schirmte er immer wieder die Bälle geschickt ab, um sich bei seinem Toreinstand zum 1:1 gar „um den Gegenspieler rumzuschlängeln“, staunte Middendorp, „die Übersicht zu behalten und abzuschließen“. Michael Sternkopf sorgte mit seinem trockenen 20-Meter- Siegesschuß schließlich für die Erkenntnis, „daß man sich Glück auch verdienen kann“.

Während die Fans ausgelassen „Hooray, hooray, Ali, Ali Daei“ feierten, ließ Stuttgarts Löw nicht gänzlich ohne Neid notieren, Bielefeld habe „da einen sehr, sehr guten Einkauf getätigt“. Er selbst forscht verzweifelt nach einer Offensivbereicherung, weil zwei international taugliche Stürmer für drei Wettbewerbe nicht ausreichend sind, was er „in den letzten ein, zwei Wochen im Training“ beobachten mußte. Bis zum 15. August müßte der Transfer getätigt sein, soll der Neuzugang europäisch einsetzbar sein. Da aber „keine finanziellen Möglichkeiten mehr da sind“, sucht Löw „nach einer günstigen Lösung“, was gegen den teuren Extravaganten Hristo Stoitchkov vom FC Barcelona und für den Rumänen Florin Raducioiu vom Lokalrivalen Espanol spricht. „Meister werden“, meldet Balakow nämlich an, wolle man trotz Fehlstart noch, aber, sagt er auch und kleinlauter, „müssen jetzt sitzen und reden“.

VfB Stuttgart: Wohlfahrt – Verlaat – Endreß (84. Ristic), Berthold – Hagner, Soldo, Balakow, Poschner, Legat – Bobic, Akpoborie

Zuschauer: 22.512 (ausverkauft)

Tore: 0:1 Akpoborie (43.), 1:1 Daei (70.), 2:1 Sternkopf (82.)

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