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Das Mädchen von Rhodos

Die Weitspringerin Niki Xanthou gewinnt Silber, Griechenland versöhnt sich mit der WM, doch für Drechsler und Joyner-Kersee fehlt das Happy-End  ■ Aus Athen Peter Unfried

Als Niki Xanthou sich mit blauen Fingernägeln den Scheitel noch einmal aus dem Gesicht gestrichen hatte, war der lauteste Moment der zehn WM-Tage gekommen. Was die Leute an Pfeifen und Johlen boten, hätte anderswo zu einer Massenanzeige wegen sexueller Belästigung geführt. Der Jubel war auch nicht zu bremsen, nachdem die rote Flagge hochgegangen war und die letzte Chance verpaßt, die Russin Ludmila Galkina doch noch zu überbieten.

Aber auch so hat Xanthou (23) am vorletzten Tag der bronzenen Medaille des Speerwerfers Kostas Gatsioudis eine silberne hinzugefügt und die Weltmeisterschaft somit für die Griechen zu einem versöhnlichen Ende gebracht. „Es hätte Gold sein können“, sagte Xanthou weise, „aber ich wäre auch mit Bronze zufrieden gewesen.“

Die Griechen, das hat sich in den Tagen von Athen gezeigt, mögen keine großen Kenner der Leichtathletik sein – aber sie lieben Heldinnen und Helden. Möglicherweise ist dabei manchem entgangen, was Xanthou (6,94 Meter) und Galkina (7,05 Meter) geschafft haben. Sie ließen hinter sich nicht nur die Titelverteidigerin Fiona May (6,91 Meter) und die verletzt ausgeschiedene Olympiasiegerin Ajunwa, sondern auch die beiden Frauen, die ein Jahrzehnt die Disziplin dominierten, Heike Drechsler (4.) und Jackie Joyner-Kersee (5.). Weitsprung-Legenden sind das. Oder, etwas uncharmanter: Frauen von gestern.

Galkina ist 25, ihre 7,05 waren der erste 7-Meter-Sprung des Jahres. Heike Drechsler (32) mußte sich auf allgemeinen Wunsch an ihren schönsten Zweikampf mit der US-Amerikanerin erinnern. In Oslo war das, als sie am Ende 7,29 Meter hatte, Joyner-Kersee 7,32. Wie lange das her ist? „O Gott, wann war das?“ Vor vier Jahren? Seit der EM 94 hat Drechsler nichts mehr gewonnen. Ihre Saison war von einer frühen Verletzung gestört und dominiert vom Umzug nach Karlsruhe, der Abnabelung von Trainer Erich Drechsler. Auch wenn bloß drei Zentimeter zu Bronze fehlten: Die 6,89 Meter im letzten Versuch verdankt sie einem Sprung, bei dem sie den Balken optimal traf.

Auch Joyner-Kersee hat ihren Körper ziemlich verschlissen. Vor der WM reichte es gerade zu einem Weitsprung, bei den US-Trials. „Ich dachte, ich hätte sieben Meter in mir“, sagte sie. Es wurden 6,79. Im Gegensatz zur Deutschen hat sie aber losgelassen, was eine Art heiteren Fatalismus ermöglicht. Das war's, auch recht. „Ich wollte, aber ich konnte nicht“, sagte sie und lachte schallend.

Dem Vorwurf, die dummen Leute hätten den romantisch-melancholischen Abschied von JJK und HD ignoriert, mochten beide nicht zustimmen. Joyner-Kersee sagt, es sei normal, daß man den „hometown-favourite“ anfeuere. Sie wisse nun, „wie die anderen sich in Atlanta gefühlt haben müssen“. Und Drechsler, nachdem sie eine Nacht drüber geschlafen hatte, erzählte gestern davon, mit welchem „Beifall und Respekt mich die Leute verabschiedet haben“. Insofern steht der Wettbewerb in einigen Bereichen als Pars pro toto. Erstens: war alles nicht so schlimm mit den Athenern. Zweitens: Er wurde auf einem Leistungsniveau ausgetragen, das manche enttäuscht. Viele aber werten es auch beruhigt als Indiz dafür, daß hin und wieder auch die sportliche Moral stimmt – oder wenigstens die Angst vor der Wirksamkeit des Dopingkontrollsystems bei der WM gegriffen hat. Drittens stützt er DLV-Präsident Digels Annahme, daß ein Wettkampf auch jenseits problematischer Rekorde faszinieren kann.

Was Niki Xanthous Zukunft betrifft, muß sich weisen, ob die griechische Leichtathletik die schnellen, aber auch beargwöhnten Fortschritte fortsetzen kann und damit auch nach der WM im Bewußtsein der Öffentlichkeit bleibt, das eindeutig von Fußball und Basketball dominiert wird. Andererseits: Auch vom Gewichtheben ist man ganz hin und weg, seit ein paar albanische Emigranten die Medaillen anschleppen. Und was sind Gewichtheber gegen Niki? Sie kommt von der Insel Rhodos. Sie liebt einen Weitspringer. Sie kann prima lächeln und sich prima den Scheitel nach rechts aus dem Gesicht streichen. Im übrigen, wenn man darauf etwas geben mag. Alle Männer, die man fragt, vermuten das eine: Niki Xanthou ist eine geradezu klassische Beauty.

Eigentlich müßten die Öffentlichkeit und Niki füreinander geschaffen sein. Die andere Niki, die Hochspringerin Bakogianni, hat seit ihrem Silber von Atlanta eine eigene Fernsehsendung. Die schied im Vorkampf aus. Xanthou freilich gilt trotz ihres Wissens um ihr Äußeres nicht eben als extrovertiert. Bevor sie anfing, professionell zu trainieren, hat sie getan, was die meisten in Rhodos tun: an Touristen Zeugs verkauft. So ist sie, auf brausenden „Niki, Niki“- Chören entschwebt auf ihre Insel, wo sie erst einmal baden und in der Sonne liegen will. „Das Publikum“, sagte sie vorher noch, „gab mir ab einem bestimmten Punkt das Gefühl, zu fliegen.“ Das hört sich doch schon gut an. Niki heißt übrigens „Siegerin“. Shampoo- Werbung macht sie schon.

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