Kommentar: Wer ist das Volk?
■ Ketzerische Anmerkungen zum Ideal basisdemokratischer Entscheidungen
Wenn Politfunktionäre über die Köpfe der Menschen entscheiden, deren Interessen sie zu vertreten vorgeben, ist schnell Einigkeit herzustellen: Machtarroganz. „Wir sind das Volk!“möchte man rufen. Hätten „die da oben“uns nicht wenigstens fragen können, ob wir die neue Verfassung, den Euro oder die Rechtschreibreform wollen?
Schwieriger wird es schon, wenn man sich Volksentscheide zur Hafenerweiterung, Elbtunnelröhre, Hafenstraße oder Todesstrafe vorstellt. Zweifel am Ideal der Basisdemokratie sind durchaus angebracht. Der Mehrheitswille hat in der deutschen Geschichte nicht immer zu Entscheidungen geführt, die man wiederholt sehen möchte.
Minderheitenschutz kann ebensowenig Volksentscheiden überlassen werden wie die Meinungsfreiheit – Stichwort Volksverhetzung – grenzenlos sein kann. Soll etwa die Zerstörung der Restnatur, die uns geblieben ist, hingenommen werden, weil der Tanz ums Goldene Kalb Auto kollektiver Wunsch ist?
Natürlich soll und muß es Volksbegehren und -entscheide geben. Kein Zweifel, daß die jetzige Regelung vor allem auf den Machterhalt der repräsentativen Demokratie abzielt. Sicher ist auch, daß in den meisten Fällen basisdemokratische Entscheidungen positiv wirken.
Dennoch ist es naiv, Volkes Wille mit dem demokratischen Himmel auf Erden gleichzusetzen. Mehr als ein Korrektiv für abgehobene und verfilzte politische Strukturen können solche Instrumente nicht sein. Eine Mystifizierung von Volksbefragungen ist genauso unangebracht wie panische Angst davor. Silke Mertins
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