: Maß für mehr Demokratie voll
Über 20.000 Unterschriften für Volksinitiative. Wenn alles gutgeht, entscheidet nunmehr das Volk über mehr Mitbestimmung ■ Von Silke Mertins
Die Volksbefreier von der Initiative „Mehr Demokratie“strahlten gestern: 20.000 Unterschriften werden gebraucht, und 23.724 sind bereits zusammengekommen. Damit dürfte die Einleitung eines Volksbegehrens für mehr direkte Mitbestimmung in Hamburg kaum noch aufzuhalten sein. In der verbleibenden Woche bis zur Übergabe der Listen am kommenden Montag wird nur aus einem Grund weitergesammelt: Erfahrungsgemäß werden 20 Prozent der Unterschriften von den Behörden nicht anerkannt. „Wir wollen auf Nummer sicher gehen“, sagte die Ini-Vertrauensfrau Claudine Niert (30).
Das nächste Altenwerder, die nächste Arena oder das nächste Schulgesetz kommen bestimmt. Doch bei der Einführung der Volksentscheide sei die Bürgerschaft zu kurz gesprungen, kritisiert die Ini. Die Hürden seien zu hoch. Zu viele „Mißbrauchsmöglichkeiten stehen Senat und Bürgerschaft zur Verfügung“, so Ini-Vertrauensmann und Volkswirt Michael Effler (27). Erreicht ist bisher aber erst, daß ein Volksbegehren eingeleitet wird. Ist das erfolgreich, könnte zeitgleich mit der Bundestagswahl ein Volksentscheid durchgeführt werden.
„Erschreckend war die Politikverdrossenheit auf der Straße“, berichtet Claudine Niert von den zahlreichen Aktionen. Das Volk gehe „zur Wahl und wird dann vier Jahre lang entmündigt“. Vor allem bei Bauprojekten wie Volkspark-Arena und Holzhafenbebauung oder bei grundsätzlichen Entscheidungen wie der Einführung des Euro oder der Rechtschreibreform möchten nach den Erfahrungen der Unterschriften-Jäger und -Sammler die BürgerInnen direkt gefragt werden. Von Volksentscheiden ausnehmen will „Mehr Demokratie“nur den städtischen Haushalt.
Unterstützt wird „Mehr Demokratie“zwar von mehr als 50 Organisationen und Einzelpersonen, darunter Jusos, Junge Liberale, der BUND, Anti-Transrapid-Inis, Künstlern und Politikern. Doch lediglich die GAL steht als gesamte Partei hinter der Hamburger Initiative. Spitzenkandidatin Krista Sager freute sich gestern, daß man bei „diesem Mittel gegen Politikverdrossenheit“einen Schritt weiter gekommen ist. Das jetzige Verfahren sei zu kompliziert. Daß es bei Volksbefragungen auch mal zu Entscheidungen kommen könnte, „mit denen man nicht einverstanden ist, damit muß man leben“.
FDP-Spitzenkandidat Frank-Michael Wiegand ist zwar auch „für mehr direkte Demokratie“. Dennoch gehen ihm die Ini-Forderungen zu weit. André Becker vom Landesvorstand der Statt Partei unterstützt zwar „die Richtung“. Doch seine Partei hat die bestehende Kleinst-Lösung mitentschieden.
Die SPD bekämpft die Volksinitiative hingegen offen. Jan Ehlers, Vize-Fraktionschef und Architekt der jetzigen Regelung, forderte seine Genossen im Parteiorgan Vorwärts zum Boykott auf. „Einstimmig“beschloß der SPD-Landesvorstand nun, die Initiative abzulehnen.
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