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Korn mit Brief und Riegel

In Hamburg-Niendorf gibt es seit gestern außer Briefmarken auch Chips, Zigaretten und Plastik-Motorräder am Post-Schalter  ■ Von Achim Fischer

„Ist die historische Entwicklung über uns hinweggegangen?“fragt sich Peter Schmedes schonungslos. „Mußten wir nicht dorthin gehen, wo das Leben brummt?“„Wir“, das ist die Post, und Schmedes ist einer ihrer führenden Beschäftigten, Leiter der Direktion Kiel, damit gelber Fürst im Norden. „Sie können auch sagen: der Chef der Schalterkräfte. Und ich sage bewußt nicht Schalterbeamte.“Denn es hat sich – jaja, dochdoch – viel geändert. Etwa in Niendorf.

„Gleich drei Meilensteine in der Entwicklung der Post“pflanzte das Unternehmen neben den Ernst-Mittelbach-Ring, wenige Schritte neben der U 2-Endstation Nien-dorf-Nord. Alle drei vereinigt in der „PostPlus-Filiale“. Der ersten in Hamburg.

Meilenstein Nummer eins: die Niederlassung wurde privatisiert. Sie wird von der Deutschen Post Service und Vertriebs GmbH betrieben – einer Tochter der Post. Daß dabei aus zwei Filialen eine gemacht wurde, „ist Nebensache“, meint Schmedes. Das Unternehmen will einfach dorthin, wo es brummt.

Meilenstein Nummer zwei: der „open service“im neuen Shop. Nur ein Tresen trennt Kunden und Beam... – äh – Schalterkräfte, im ganzen Laden kein Stückchen Panzerglas. „Einen Quantensprung in der Bedienungsqualität“verspricht sich davon Schmedes und kommt zur dritten Wegmarkierung: den Regalen neben den „open Service“-Schaltern, gefüllt mit Schoko-Riegeln, Chips und Flips, mit Plastikmotorrädern, Marke Yamaha XV 1000 Virgo, Maßstab 1:18, nebst „Luxus-Klasse“-Auto-Quartett, Zei-tungen, Zigaretten, Sekt und diversen Kurzen.

„Ich glaube, das wird sich hier nicht rechnen“, zweifelte gestern eine Mutter. „Sie kriegen das alles doch viel billiger im Supermarkt hier um die Ecke.“Eine Frau Mitte sechzig muß sich „erst daran gewöhnen, daß Postangestellte jetzt auch Schnaps und Zigaretten verkaufen“. Und auch die nächste Kundin fand es „komisch, daß die Post jetzt ein Zigarettenladen ist“.

Das Staatsunternehmen dagegen hat aus Umfragen andere Erkenntnisse gewonnen. Fast drei Viertel der Kunden stuften das gemeinsame Angebot von Brief und Riegel als „gelungene Idee“ein. „Die Idee ist nicht schlecht“, sagte gestern eine junge Frau, „aber vielleicht nicht gerade hier, wo man sowieso schon gut versorgt ist.“Häufigstes Lob dagegen: Der neue Shop liegt wesentlich zentraler als die beiden bisherigen Postämter. „Und wenn ich mal 'nen Faulen hab', nehme ich vielleicht auch was mit“, lachte die preisbewußte Mutter.

Mit den Panzerglas-Kabuffs verschwanden allerdings weltweit einzigartige Spinnwebvorkommen. Ein Comic-Zeichner, dessen Namen wir an dieser Stelle nicht veröffentlichen wollen, hat dagegen aus nur zu verständlichen Gründen Protest angemeldet.

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