■ Wer nur Gegend zu bieten hat, braucht andere Touristenmagneten: Wünschel dir was!
Wenn es gerade hip ist, mit Zähnen und Klauen in der Steilwand zu agieren, Radeln nur in Frage kommt, wenn Bike samt Fahrer zuvor über dem Mount Everest abgeworfen werden und Kanufahren erst richtig lustig ist, wenn die Chancen zu ertrinken dabei ziemlich gut sind – dann fällt es den eher schlichten Orten naturgemäß schwer, zahlungskräftige Touristen anzulocken.
Doch auch Kleinstgemeinden ohne potentiell lebensgefährliche Landschaftselemente können mit etwas Phantasie einen dörflich- coolen Urlausthrill bieten. Wer außer Gegend nichts zu bieten hat, kann darin immer noch einen Pfad anlegen. Allerorten stampft man sie hoffnungsfroh aus dem Boden, die Käs'- und Singvogel-, Archäo- und Geologie-, Schmiede- und-so- weiter-Pfade.
Ein wirklich prickelndes Erlebnis verspricht allerdings nur einer: der Radlästhesie- oder Wünschelruten-Pfad nahe Passau.
Am Rande des Bayerischen Waldes kreuzen sich, von der Gemeinde Kellberg betreut, Global- und Diagonalgitternetz. So ähnlich steht es in einem einschlägigen Pfad-Finder, und so bestätigt es ganz offiziell die für Kreuzungen jeder Art zuständige örtliche Verkehrsbehörde. Auf die Anfrage, ob man dort von Amts wegen tatsächlich an Globalgitternetze, Erdstrahlen und heilende Steine glaubt, kommt postwendend Nachricht.
„Das Phänomen ,Radlästhesie‘“, so teilt die Verwaltung freundlich-nachsichtig mit, „wurde nicht von einem werbetüchtigen Touristikmanager erfunden, denn schon unsere Vorfahren errichteten Kultstellen, Kirchen usw. auf solch hochenergetischen Plätzen, um damit ihre kultischen Handlungen zu verstärken. Selbstverständlich wirkt sich radlästhetische Energie auch auf Tiere und Pflanzen aus, wie Sie auf den beiliegenden Kopien erkennen können.“
Die Kopien sind zahlreich; sie beweisen unter anderem, daß in Kellberg eine BamS-Reporterin Wasser erwünschelte, und das, („Ich will's nicht glauben, aber es passiert“) an einer Stelle, „wo nachweislich Wasser verläuft“.
Der im Verhältnis zur behandelten Materie etwas kärglich gestaltete Plan des Pfades bietet weitere Wunder. Auf fünf Seiten sind die im Original über drei Kilometer verstreuten Phänomene eingezeichnet. Was sich dem Auge des unkundigen Betrachters zunächst als eine Ansammlung zittriger Spiegeleier darstellt, mutiert per Begleittext zu Buchen, Fichten und Kirschbäumen, die dank unterirdischer Störfaktoren „Baumkrebs, Zwieselwuchs und Blitztreffer“ herzeigen können. Ein bißchen eklig, aber im Grunde interessant. Schuld an so viel Baumpech sind nämlich die „energiereichen Zonen des Global- und Diagonalnetzes“; sie „verursachen hier durch ihre unterschiedliche Polarität und Intensität Verwachsungen und Auswucherungen im Stamm- und Wurzelbereich“. Bliebe zu klären, warum unsere Vorfahren ausgerechnet an jenen Stellen Kultiges trieben, wo sie bevorzugt von Blitzen und Geschwulsten heimgesucht wurden. Vielleicht, man darf es vermuten, manifestieren sich hier die Ursprünge der Neigung mancher Individuen zu hals- und beinbrechendem Extremsport. Apropos Muten: so lautet die korrekte Bezeichnung für das gemeinhin „Wünschelrutenlaufen“ genannte Tun. Aneignen kann sich der energiegeladene Tourist diese Fähigkeit in Seminaren des Kellberger Verkehrsamtes.
Wer den beschilderten Pfad lieber allein erkunden möchte, sollte sich allerdings beizeiten mit einer zünftigen Metall- oder Weidenholzrute ausrüsten. Verkauft werden derlei Dinge im Ort nämlich keineswegs – man ist ja nicht abergläubisch. Michaela Behrens
Informationen über den „Urlaub mit der Wünschelrute“ erteilt das Verkehrsamt Kellberg, Thyrnau/ St.-Blasius-Str. 10, 94136 Kellberg, Tel.: (0850)320, Fax: (08501)1777
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