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„Irgendwann wünsche ich mir ein Tor“

Am Mittwoch macht Jürgen Klinsmann sein 100. Länderspiel. Über ihm steht dann nur noch Beckenbauer. Eigentlich. Beim 1:1 gegen Portugal hat der DFB-Kapitän aber erneut kein Tor gemacht. Stürzt er?  ■ Von Peter Unfried

Berlin (taz) – War da etwa ein Mercedes 280-S verunfallt – und es ging für die zufällig anwesenden Journalisten darum, schleunigst Erste Hilfe zu leisten? Das Gedränge sah gefährlich danach aus. Wer sich näherkämpfte, sah: Gott sei Dank handelte es sich bloß um den Kapitän der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, der versuchte, in den Gewölben des Olympiastadions den Weg zum DFB-Bus hinter sich zu bringen. So etwas ist gar nicht so einfach für einen, der seit ewigen Zeiten kein Tor mehr geschossen hat.

Eigentlich ist es noch viel länger her. 784 Minuten. 7-8-4! Die Zahl wird an diesem Montag wahrscheinlich bereits an Schulen gelehrt. Es handelt sich schließlich um eine deutsche Katastrophe – und es ist sehr an der Zeit, daß Jürgen Klinsmann das endlich auch einsieht. Er sieht es aber nicht ein. Bloß 1:1 in der WM-Qualifikation gegen Portugal und wieder kein Tor geschossen? „Wichtig ist“, sagt Klinsmann, „was für die Truppe herauskommt.“ Wichtig war folglich bloß eins: „Daß wir das Tor gemacht haben.“ WIR ist Klinsmanns Lieblingswort. WIR ist der Grund, warum das DFB-Team, Klinsmanns Team, im vergangenen Jahr Europameister wurde.

Aber nun haben wir ein ganz anderes Jahr. Und die Sache mit dem Helden, der am Fallen ist, hat sich so schön zugespitzt, daß es mancher irgendwie schade fände, wenn es ohne jenen Schlag abginge, den es macht, wenn einer mit Vollgas gegen die Wand rauscht.

Es gibt natürlich keinen Zweifel, daß Klinsmann mit 33 seine besten Jahre als Tormaschine hinter sich hat. Der kluge Gerd Müller hat mit 28 seinen internationalen Rücktritt eingereicht, Uwe Seeler hatte mit 33 seine Arbeitsplatzbeschreibung für die WM 1970 umdefiniert – und für Müller gerackert. Klinsmann, seit er nicht mehr trifft, betont Ähnliches. Er sagt, ihm sei wichtig, „daß ich meinen Job für die Mannschaft mache“. Seine Jobbeschreibung ist sehr viel komplexer als jene von Kollege Bierhoff. Er nennt es vereinfachend gerne: „Sich den Arsch aufreißen.“

Das hat er gegen Portugal natürlich getan. Die Auswertung der taz-Datenbank ergibt: Klinsmann hat neben dem Ableisten seiner üblichen Lauf- und Pressingarbeit sein Duell mit (Haupt-) Gegenspieler Helder knapp gewonnen. Er war bei Kopfbällen stark und hatte bei Direktablagen deutlich mehr gelungene als mißglückte. Vor allem aber: Klinsmann war – im Gegensatz zu Bierhoff – richtig im Spiel. Klinsmann hat, sagt sein Trainer Vogts, „unheimlich gearbeitet“, hat Angriffe eingeleitet und Vorlagen gegeben.

Eines allerdings hatte Klinsmann nicht: eine richtige Chance. Das muß nicht einmal jenes Glück sein, „daß dir der Ball vor die Füße rollt“ (Klinsmann). Er wäre schon zufrieden, wenn eine Flanke käme. Klinsmann spielte den Ball zu Basler, Heinrich oder Ziege, rannte in den Strafraum – und wedelte gefrustet mit den Armen. Das kann man den Flankengebern vorwerfen – oder ihm. Hinrennen, wo der Ball hinkommt, ist Instinkt und, nach dem Eintreffen, eine Sache des Timings. Beides fehlt.

Kollege Kirsten kam rein, schrie wie von Sinnen Richtung Wosz, bekam den Ball – und schoß ihn rein. Klinsmanns Timing war immerhin noch so gut, daß er der erste Gratulant war. Die Geduld der teilweise etwas einseitig informierten Zuschauer geht jedenfalls zur Neige. Als Bierhoff raus mußte, gab es Pfuirufe.

Am Mittwoch wird Jürgen Klinsmann in Dortmund sein 100. Länderspiel machen. Nur Beckenbauer, die DDR-Auswahlspieler Streich und Dörner und noch einer haben das geschafft. Das mag dem einen oder anderen etwas unglaublich scheinen. Es bedeutet aber: Über Klinsmann steht eigentlich nur noch Beckenbauer. Oder der gar neben ihm? Genau das zu verhindern aber dürfte der Auftrag sein, dem sich Bild, Sport-Bild u.a. seit einiger Zeit mit einer Inbrunst verschrieben haben, wie nur noch einst dem Fall der Mauer.

Und nun ist man wieder ein Stückchen näher dran. Klinsmann sagt nur: „Irgendwann wünsche ich mir auch mal wieder ein Tor.“ Aber natürlich grübelt er nicht nur „so ein bißchen“, sondern mächtig. Das Ultimatum, das sich Vogts hat aufzwingen lassen, steht im Raum. Es besagt: Entweder trifft er am Mittwoch – oder er muß auf die Bank. Selbst wenn es bloß für ein Spiel wäre: Ein dreiviertel Jahr vor der WM wäre es der Anfang vom Ende der Ära Klinsmann/Vogts. Wie er die Leistung seines Kapitäns beurteile, wurde der sehr gefrustete Berti Vogts Samstag nacht gefragt. Das erste, was er antwortete: „Wir können uns nicht allein darauf verlassen, daß ich immer glücklich einwechsle.“ Das mag heißen: Der Trainer findet jetzt auch, daß Toreschießen zum Job seines Kapitäns gehört. Es hört sich jedenfalls nicht gut an. Vogts kann, wenn er will, eines bedenken: Sobald einer gefallen ist, kommt der nächste dran.

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