: Man denkt, sagt Kohler: Scheiße!
Obwohl der Ersatzkapitän nicht im Bett bleibt, qualifiziert sich das ökonomische DFB-Team mit einem schmeichelhaften 4:3 über Albanien für die WM in Frankreich ■ Aus Hannover Peter Unfried
Was denkt man? „Man denkt“, sagte Jürgen Kohler: „Scheiße!“ Wie das so geht: Es näherte sich eine „schöne Flanke“ (Kohler) von rechts, kein überirdisches Problem eigentlich, trotz Gegenspieler Tare im Nacken. Der Recke überlegte, entschied sich dann dafür, den Ball „ins Seitenaus zu köpfen“. Das wäre schwer genug geworden. Statt dessen landete der Kopfstoß dann zum 0:1 hinter Kollege Kahn im deutschen Tor. Es war nach all den Jahren sein erstes Eigentor. „Ich hoffe, daß das mein letztes bleibt“, sagte Kohler (32), überlegte gar nicht erst, sondern verstieg sich umgehend zu der Schlußfolgerung: „Dann können wir recht zuversichtlich in die Zukunft schauen.“
Das ist ein ganz erstaunlicher Gedankengang, für dessen Stützung es in Hannover nur vage Indizien zu sammeln gab. Fakt ist, das sagen alle Beteiligten: Das DFB- Team hat sich mit dem 4:3-Sieg über Albanien für die WM in Frankreich qualifiziert. „Mit diesem Spiel heute“, ahnt aber Vogts, „werden wir Probleme haben, die Vorrunde zu überstehen.“ „Ordnung“ ist nicht zufällig Vogts' Lieblingswort, und jene schien ihm auch diesmal wieder abhanden gekommen, da sein Team (Erklärung 1 aus seiner Sicht) ein beträchtliches Loch zwischen Angriff und Abwehr klaffen ließ. Relativierende Erklärung 2 aus Spielersicht: Das Loch wurde von Vogts selbst ausgehoben, der den reaktivierten Kuntz zu den Spitzen stellte, weshalb Häßler „ja rechter Verteidiger spielen“ mußte.
Als Kohler jedenfalls das 0:1 fabriziert hatte, blickte der Stürmer Bierhoff auf die Stadionuhr und erlitt nach eigener Aussage einen „Schock“. Bierhoff war bis dahin wieder einmal dadurch auffällig geworden, daß er nicht besonders glücklich ablegte, ins Nichts flankte und zwei prächtige Chancen vergeben hatte. Am Ende hatte er zwei Tore geköpft und konnte gelassen vermuten, „eine Torquote, wie ich sie habe“, könne sich „sehen lassen“. Das stimmt wohl: 12 Tore in 18 Spielen sind es – damit steht Bierhoff irgendwie für das Team. Es sieht häufig gar nicht gut aus, was er macht – reicht aber am Ende zum Erfolg. Ohne die Führungskräfte Sammer und Klinsmann (und Köpke, Basler, Ziege) wirkt das Team reichlich heterogen. Thon ist erst dabei, sich zu positionieren. Erneut war es Vogts höchstselbst, der der Elf mit einer Auswechslung und einer damit verbundenen taktischen Änderung Beine machte.
Tarnat (für Bobic) kam nach einer Stunde statt Heinrich über links und bereitete umgehend zwei Tore vor. Heinrich ging nach rechts, Reuter und Häßler kümmerten sich um das Loch in der Mitte. Der eingewechselte Ergänzungsspieler Marschall erzielte umgehend das 3:2.
Die Deutschen taten immer dann etwas, wenn sie mußten. Sie rafften sich erst auf, die Albaner mit läuferischer und kämpferischer Mehrarbeit unter Druck zu setzen, wenn sie selbst beträchtlich darunter standen. Und die Albaner wußten so gar nicht, wie ihnen geschah. Zunächst wollten sie nicht glauben, wie einfach es ging, Ersatztorwart Kahn ein ums andere Tor einzuschenken. Am Ende konnten sie nicht verstehen, warum sie doch noch verloren hatten. Es war erstaunlich, wie der starke Düsseldorfer Zweitligaspieler Igli Tare beim 2:1 seinen Gegenspieler wegscheuchte wie eine lästige Fliege. Warum und weshalb, Jürgen? Der Ersatzkapitän überlegte wirklich und schüttelte dann den Kopf. „Ich weiß es nicht“, sagte er schließlich, „ich kann's nicht erklären.“
Naßgemacht, Eigentor – es war kein schöner Tag für Kohler. Er selbst sah ein, er hätte „besser im Bett bleiben sollen“. Und dann attestierte ihm sein Trainer auch noch, das schwächste seiner 95 Nationalspiele gemacht zu haben. Na ja, es ist schon schlimmer gekommen. Unvergessen ist bis heute jener Spieler, der im 96. Länderspiel den Ball ins eigene Netz bugsierte. Danach ging umgehend die deutsche Fußballwelt unter. Sein Name: Berti Vogts.
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