■ Schlagloch: Che tanzt mit der Häßlichsten Von Nadja Klinger
„Es kann gutgehen. Es braucht aber nicht gutzugehen. Also wollen wir hoffen, daß es gutgeht.“
„Es geht aber nicht gut.“
Karin und Renate im
Gespräch über das Leben.
Aus: „Wittstock, Wittstock“,
Dokumentarfilm von
Volker Koepp, 1997
Nehmen wir, damit es nicht langweilig wird, anstelle von Günter Grass einen anderen Künstler. Dieser tritt mit der Kamera aus dem Leben, in das er sich zurückgezogen hat, heraus, um einen Dokumentarfilm über den Alltag in Leipzig zu machen. Er geht auf eine Frau mittleren Alters zu, die einst von der Stasi so unter Druck gesetzt wurde, daß sie schließlich für sie gearbeitet hat. Mit dem Ende der DDR ist sie einerseits befreit, andererseits tief in ihre Vergangenheit zurückgezogen worden. Zuweilen war ihr, als würde sie von der Geschichte gefressen. „Wie bist du klargekommen?“ fragt der Künstler, während seine Kamera bemerkt, wie viele Kilo die Frau abgenommen hat. „Der Alltag war stärker“, antwortet sie.
Aus eben diesem Alltag hat sich der Künstler mit seinen großen Fragen zurückgezogen, er muß zusehen, daß ihn die gewöhnlichen Probleme, die Nachrichten des Tages nicht bei der Beschäftigung mit sich selbst stören und womöglich von den ewigen Werten ablenken. Dennoch ist durch Günter Grass' Paulskirchen-Rede in den Zeitungen wieder die Frage aufgekommen, ob die Distanz zur Bevölkerungsmehrheit „verhängnisvoll“ oder die Grundlage eines „besseren Gespürs für Unheil“ ist. Weder-noch oder beides – die Antwort ist mir egal.
Denn in diesem wie in jenem Fall würden Künstler und Volk sich ergänzen in dem Sinne, daß der eine dem anderen etwas zu geben hätte, beide sich bräuchten. Distanzhalten als Methode ist eine Bedingung, um Kunst zu machen. Aber nicht die einzige! Doch oft begegnet einem nichts als Distanz. Aus der Methode, sich zu definieren, ist die Definition selbst geworden: Der Künstler hält nicht Abstand zur Welt, sondern ist der Abstand.
Ich erinnere mich an die Eröffnung einer Ausstellung mit Fotografien zum Thema „Mannfraukind“ in einem Berliner Hinterhaus. Auf keinem der ausgestellten Bilder war ein Mann, eine Frau oder ein Kind zu sehen. Der Künstler, von seinem Publikum höflich befragt, zuckte mit den Schultern. Er könne das, was er mit Fotografie ausgedrückt habe, nicht in Worte fassen, erklärte er lediglich, das sei nicht sein Metier.
Beim Internationalen Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm lief dieser Tage ein dokumentarisches Porträt von Thomas Heise. „Barluschke“ zeigt einen Mann, der für die Stasi im Ausland spioniert hat und seit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik, als sei das folgerichtig, nun für den anderen Geheimdienst arbeitet. Er hat das Leben gewechselt wie andere Leute die Schuhe, sich einerseits bedingungslos den Umständen angepaßt, sich andererseits nie in die Systeme, in denen er unter falscher Identität lebte, eingegliedert.
Folgegemäß ist er mehr und mehr irre geworden, hat seine Familie tyrannisiert, indem er die eigene Videokamera in der Wohnung installierte, damit sie Frau und Kinder beobachte. Die Homevideo-Bilder, die in Heises Film zu sehen sind, erschüttern das Leipziger Kino Capitol. Warum hat dieser Spion das alles gemacht, fragen sich die Zuschauer. Doch der Künstler, der mit seinem Film die Antwort nicht gibt, verweigert sie auch nach der Vorstellung. „Ich bin nicht ,Spiegel TV‘“, antwortet Thomas Heise. Doch ganz so blöd ist das Spiegel-Publikum nicht, daß es nicht ahnt: Der weiß es nicht besser. Und weil er es nicht besser weiß, besinnt er sich auf den Abstand: Das muß, so meint er, reichen, um Kunst zu machen. Und so bewältigt er auf seiner Seite das Problem, indem er die andere Seite lediglich benutzt. Das war auf der Leipziger Dokumentarfilmwoche nicht häufig so, dafür aber tendenziell dann, wenn es um „große Fragen“ ging, um die Probleme, die länger leben als der Alltag des einzelnen Menschen, um die Wünsche, um Utopien.
Der argentinische Regisseur Fernando Birri zum Beispiel hat einen Film darüber gemacht, ob eine Legende fortlebt. „Kennen sie Che Guevera?“ fragt er Obdachlose in Deutschland, Passanten in Einkaufsstraßen von Buenos Aires, herausgeputzte Festgäste oder die Besucher von Disneyland. Noch ehe all die den Mund aufmachen, um zu antworten, ist klar, was sie sagen werden: Sie stammeln herum oder schütteln mit dem Kopf. Sie sind diejenigen, die nicht von Erinnerungen leben, Menschen des Alltags, die zusehen, was heute ist, und die wissen wollen, was sie spätestens morgen davon haben können. Der Künstler befragt sie, und wir ahnen, daß sich seine Ansicht von deren Ansichten stark unterscheidet, daß sie sich weit weg befinden. Doch sein Film ist damit einer über sein eigenes Problem mit der Legende Che Guevara geworden. Anstatt sich selbst zu verdächtigen, denunziert der Künstler andere. Und warum? Weil sie das Problem gar nicht haben.
Mit der Entfernung, die Fernando Birri zu diesen Alltagsmenschen hat, die Che vergessen haben, gibt er sich zufrieden. Das ist des Künstlers Antwort auf die großen Fragen der Zeit. Die Distanz ist nichts wert, weil sie keine weitreichenden Verbindungen mehr möglich macht. So steht sinnbildlich auf der Seite des Künstlers die Cousine Che Guevaras, die sagt: „Er hat immer nur mit den häßlichen Frauen getanzt, weil die ihm so leid taten.“ Die Filmbilder lassen diesen Satz nachwirken. Auf der sinnbildlich anderen Seite fragt ein junger Mann zurück: „Du kommst hier zum Michael-Jackson-Konzert und willst wissen, ob ich Che Guevara kenne. Wo ist denn da das Prinzip?“ „Kennst du ihn denn?“ fragt Fernando Birri. „Kennst du Hans Löffler?“ entgegnet der junge Mann.
Der Künstler, der sich notwendigerweise vom gewöhnlichen Leben distanziert, um Dokumentarfilme machen zu können, muß, wenn er mit der Kamera in den Alltag kommt, die Antworten gelten lassen, die dort gegeben werden. Kunst ist es, diese Antworten mit den eigenen Fragen in einen Zusammenhang zu bringen.
Volker Koepp zum Beispiel hat seit über 20 Jahren mit drei Frauen aus dem brandenburgischen Städtchen Wittstock an der Dosse insgesamt sieben Filme gedreht. Im letzten sind Bilder aus all diesen Jahren zu sehen, und man merkt deutlich: Obwohl soviel passiert ist, passiert zunehmend weniger.
Die Kunst, auf die sich dieser Regisseur versteht, ist, das nicht nur zu akzeptieren, sondern es als wertvolle Antwort, als Möglichkeit zu begreifen. So auch, wenn Renate auf Karins „Also wollen wir hoffen, daß es gutgeht“ antwortet: „Es geht aber nicht gut.“ Die Brücke zwischen der Leinwand, auf der die nicht gerade alltagsnahe Frage nach dem Sinn des Lebens gestellt wird, und dem Parkett schlägt der Künstler – der ja ursprünglich die Kluft errichtet hat – selbst. Und zwar mit den Worten von Elsbeth, der dritten Frau, die den beiden anderen hinzufügt: „Wir sind wieder ein Jahr weiter.“
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