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Wer hat in meinem Sesselchen gesessen? Von Susanne Fischer

Falls jemand unter den Lesern einmal todsicher in einer Talkshow auftreten möchte, rate ich ihm oder ihr, eine Talkshow oder am besten gleich die ganze Gattung öffentlich in Grund und Boden zu kritisieren. Am besten behauptest du, Talkshows seien erstens langweilig und zweitens die Spitzenreiter der Simulation. Das weckt Interesse, und niemand wird dir glauben, daß es dir ernst damit ist. Schon klingelt bei dir das Telefon, und eine Sendeanstalt bittet dich in ihre Quasselrunde. Wer jetzt glaubt, dies wäre jene einzigartige Gelegenheit, allen endlich mal im Fernsehen die Meinung zu sagen, sollte lieber glauben, es handele sich um eine Gelegenheit, schwitzend und stammelnd aller Welt zu beweisen, was für Idioten heutzutage schon in Talkshows eingeladen werden. Natürlich entschärft sich Kritik, wenn der Kritisierte den Nörgler vor laufenden Kameras umarmt, aber deswegen haben sie dich nicht eingeladen. Nein, sie wollen der Welt ein lustiges Depperl präsentieren, das absurde Ansichten vertritt und dessen Doppelkinn sich im Scheinwerferlicht äußerst unvorteilhaft ausnimmt. Deshalb rufen sie dich an.

„Guten Tag, Frau Fischer, hier sind die Schlagmichtot-Productions. Wir produzieren Jürgen von der Lippes Talkshow ,Wat is?‘ und haben diesen lustigen Artikel von Ihnen gelesen, das mit den Hypochondern, ganz toll. Hätten Sie nicht Lust, in die Sendung zu kommen? Sind Sie ein richtiger Hypochonder, so richtig echt, meine ich?“ Nein, sage ich, ich sei kein richtiger Hypochonder, und im Fernsehen könne ich auch nicht auftreten, weil die Strahlen aus den Kameras meinen unentdeckten Krebs verschlimmern würden. „Das tut mir aber leid. Wissen Sie vielleicht jemand anderen?“

„Guten Tag, Frau Fischer, hier ist der WDR, Sie haben da diese lustigen Gedichte über Hera Lind geschrieben, ganz toll. Hätten Sie nicht Lust, sich in unserer Talkshow mit Hera Lind zu streiten?“ Es tut mir leid, aber Frau Fischer ist in Urlaub. Nein, sie kann nicht nach Köln kommen. Nein, sie hat keine Telefonnummer hinterlassen. Nein, ich kenne auch sonst niemanden, der sich mit Hera Lind streiten möchte. Wozu auch, um Gottes willen? Und worüber? „Dauerwellen – gut oder böse?“

„Guten Tag, Frau Fischer, hier ist der WDR. Sie kenne doch sicher unsere Talkshow ,Ein Abend mit...‘“ Nö. Hatte ich erwähnt, daß ich Talkshows blöd finde? „Na gut, ich erklär's Ihnen. Da kommt ein Star, also in diesem Fall Marie- Luise Marjan. Die muß sich dann auch mal zehn Minuten streiten, und da hatten wir an Sie gedacht.“ Fieberhaft überleg' ich, ob ich vielleicht eine ganz tolle, lustige Ode an Mutter Beimer geschrieben habe, aber ich bin sicher, mich noch nie zu Fernsehserien geäußert zu haben. Inzwischen erkläre ich der Redakteurin, daß ich Frau Marjan für eine reizende Person halte, mit der ich mich niemals streiten möchte, auch nicht darüber, ob weiche Eier drei oder dreieinhalb Minuten kochen sollten. Außerdem müßte ich vor Kameras immer stottern. „Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Frau Haumich hat Sie so empfohlen.“ Wieso? „Die hat doch die Talkshow mit Hera Lind und Ihnen gemacht.“ Kann mir jemand sagen, wo ich am achtzehnten Mai dieses Jahres war? Simulierte Antworten nimmt meine Produktionsfirma gern entgegen.

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