: Für die einen ist es die ehrlichste Frau der Welt Von Susanne Fischer
Mein nächster Ladendiebstahl ist bereits sorgfältig geplant. Mein bisher letzter Ladendiebstahl liegt zirka 27 Jahre zurück und wurde versehentlich begangen. Beim nachdenklichen Wühlen in Süßigkeiten war mir ein Brausebonbon im Wert von fünf deutschen Pfennig in meinen Turnbeutel gefallen. Dafür habe ich mich sehr geschämt, das Corpus delicti aber schließlich mit Behagen weggelutscht. Seitdem weiß ich, daß Ladendiebstahl ein angenehmes Prickeln auf der Zunge erzeugt, und nur massive Feigheit konnte mich von weiteren Großtaten abhalten.
Aber jetzt ist das Maß voll. Auch wir Provinzler reisen gern einmal in die Stadt und bummeln durch andere Läden als immer bloß Edeka. Eine meiner regelmäßigen Stationen in Hamburg ist der Billig-Optiker Fielmann, in dessen Filialen man unbehelligt so viele Brillen aufprobieren kann, wie es das eigene Seelenleben verkraftet. Ich finde, es sollte diese Art Läden auch für Perücken, Hüte, Bärte und neue Nasen geben. Der Brillenkauf allerdings wird durch ständige Überlastung des Personals behindert.
Aber es geht ja nicht ums Kaufen. Ab und an muß man einfach mal andere Brillen aufsetzen, um festzustellen, ob man damit noch bescheuerter aussieht als sowieso schon; ob jetzt besser Kontaktlinsen zu tragen wären oder ob ohnehin nur noch eine Gesichtsoperation hilft. Das sind die allerbesten Fielmann-Stunden. Wenn da nicht der schreiend unauffällige, ältliche Herr im lila Seidenblouson wäre, der mich jedesmal hartnäckig durch den Laden verfolgt, angefangen bei den Kassengestellen bis zu den exzentrisch gezackten Fünfhundertmark-Modellen, mit denen man notfalls eine Gesichtsoperation vornehmen könnte.
Anfangs war ich beleidigt. Die ehrlichste beziehungsweise feigste Frau der Welt wird von einem Ladendetektiv belästigt! Nie wieder wollte ich das unappetitliche Geschäft betreten, jenen Hort falscher Verdächtigungen und schwerer Verleumdungen. Dann fand ich es lustig und schließlich sogar interessant. Was habe ich an mir, das mich dem Anschein nach zur Brillendiebin prädestiniert? Liegt es daran, daß ich kein Fielmann- Modell auf meiner Nase spazieren führe? Sind es die langen Finger an meinen Händen? Meine regelmäßigen Besuche, die sich kein normaler Ladendetektiv erklären kann? So wie wir es nicht verstehen, daß jemand im lila Seidenblouson durch die Welt läuft?
Natürlich liegt der Fall ganz anders. Mein Nachteil ist einfach, daß ich erst am Ende meines Einkaufsbummels, beladen mit diversen Tüten, zum Brillengucken komme. Da bleibt schon mal die eine oder andere Tüte über dem Handgelenk hängen, während ich Brillen probiere. Anscheinend hält es der Ladendetektiv für eine einfache Übung, die kostbaren Waren durch eine leichte Drehung der Hand in so eine Tüte gleiten zu lassen. Der Verdacht besticht durch das mißtrauische Einkalkulieren anatomischer Unmöglichkeiten. Jedoch: Mein ist die Rache, spricht Frau Fischer. Das nächste Mal komme ich mit einem Komplizen, und während ich den lila Detektiv beschäftige, wird der unter den Designermodellen derartig abräumen, daß nie wieder harmlose Damen mit großen Schnappsäcken in ein völlig falsches Licht geraten können.
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