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Grenada weit vor Österreich

Ein vorwitziger Rückblick auf die Olympischen Winterspiele im japanischen Nagano  ■ Von Matti Lieske

8. Februar. Eskalation im Streit um die für diesen Tag geplante Olympiaabfahrt der Männer, die auf Druck von Umweltorganisationen erst verkürzt, dann aber wieder verlängert wurde. Am frühen Morgen entdecken Streckenposten bei der letzten Inspektion, daß an jedem Abfahrtstor ein blaugefrorener Kamikazeumweltschützer angekettet ist. Die Jury entscheidet blitzschnell, aus Gründen der Pietät das Rennen doch wieder zu verkürzen und nur den Zielschuß zu nutzen.

Die Entscheidung fällt in zehn Sprintabfahrten. Es siegt der kurzfristig nachgemeldete Alberto Tomba mit einer Tausendstelsekunde Vorsprung vor Stefan Krauss (BRD) und allen anderen Teilnehmern: Auf die Frage, was den Goldausschlag gegeben habe, reibt sich der Sieger bloß vielsagend sein Bäuchlein.

9. Februar. Um endlich mehr Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für den Rodelsport zu ergattern, geht Georg Hackl am zweiten Tag des Einzelwettbewerbs in der Unterwäsche eines Sponsors an den Start. Gleichzeitig lanciert sein neuer Manager Klaus Kärcher – der bekanntlich auch Magdalena Brzeska betreut – Nacktfotos des Athleten auf die Seiten bedeutender Sportmagazine.

Die Strategie hat Erfolg. Playgirl möchte Hackl als Coverboy gewinnen, Böklunder bietet einen hochdotierten Werbevertrag. Dann gewinnt er vor 6.000 ihm anerkennend hinterherpfeifenden Zuschauern die Goldmedaille.

10. Februar. Entsetzen in der White- Ring-Halle von Nagano. Kurz nach Beginn ihrer Kür beginnen sich Mandy Wötzel und Ingo Steuer wüst zu prügeln. Als der männliche Teil des Eiskunstlaufpaares seine Partnerin an den Haaren zu Boden reißt und beginnt, sie mit wuchtigen Leberhaken und Uppercuts zu malträtieren, versuchen aufgebrachte Zuschauer die Eisfläche zu stürmen, werden aber von Sicherheitskräften daran gehindert.

Inzwischen ist Mandy Wötzel aufgesprungen und hat Steuer mit einem astreinen Tiefschlag niedergestreckt. Erst als sich die Dresdenerin hinunterbeugt und den kläglich Jammernden spielerisch ins Ohr beißt, macht sich Erleichterung breit. Das Publikum erkennt, was die Jury schon wußte: Alles war Teil einer neuen gewagten Choreographie, welche den nächsten Tyson-Holyfield- Kampf künstlerisch verarbeitet.

Zum Gold reicht die Darbietung dennoch nicht, da es drastische Punktabzüge gibt, weil Ingo Steuer den doppelten Axel Schulz und den dreifachen Mildenberger aus Versehen gestanden hat.

11. Februar. Einen Tag, nachdem der österreichische Verband Andreas Goldberger auf Lebenszeit gesperrt hat, weil er im olympischen Dorf mit Angehörigen des jamaikanischen Viererbobs zusammen gesehen wurde, heiratet der Skispringer nach japanischem Zeremoniell die Rennläuferin Elfi Eder und erlangt so die Startberechtigung für Grenada. Wenige Stunden später gewinnt er die Silbermedaille von der Normalschanze hinter dem Japaner Funaki.

12. Februar. Während des Langlaufs über 10 km klassisch fällt plötzlich bei einem kleinen Exkurs über das Treiben der berüchtigten japanischen Loipenbären der Kommentar der beiden ARD- Reporter Jürgen Emig und Herbert Watterott aus. Erst Stunden später tauchen die beiden wieder auf.

Es stellt sich heraus, daß sie von Mitgliedern der Aum-Sekte entführt worden waren, die von der ARD Sendezeit für ein Liveharakiri erpressen wollten. Die Terroristen seien jedoch schon bald erschüttert in die Wälder geflüchtet, nachdem ihnen Emig zum zehnten Mal in kurzer Zeit kumpanenhaft grinsend die Frage gestellt habe, was es denn für ein Gefühl sei, zwei solch weltberühmte Reporter in seiner Gewalt zu haben.

13. Februar. Japanischen Sicherheitskräften gelingt es endlich, den geheimnisvollen „Flitzer“ zu fassen, der seit einigen Tagen – nur mit Schlüpfer bekleidet – in den olympischen Arenen sein Unwesen treibt. Er wird als Klaus Angermann vom ZDF identifiziert. „Ich wollt' doch nur sein wie der Hackl- Schorsch“, rechtfertigt sich der Mann schluchzend.

14. Februar. Katja Seizinger wird beim Abfahrtslauf ein Opfer ihrer neugewonnenen Lockerheit. Klar in Führung liegend, kommt sie bei der Einfahrt zum Zielschuß von der Ideallinie ab und wird nur Vierte. „Ich habe an die Goldmedaille gedacht“, erklärt sie den Grund für den Schlenker, „und plötzlich einen Lachanfall bekommen.“

15. Februar. Sensation in der Kazakoshi Park Arena von Karuizawa. Am letzten Tag der Curling-Wettkämpfe erscheint ein Zuschauer. Die Aktiven legen sich daraufhin besonders ins Zeug und liefern sich einen packenden Wettkampf, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat.

Statt der erhofften Ovationen ist von der Tribüne jedoch nur ein lautes Schnarchen zu hören, und das Entsetzen steigert sich, als die Sportler erkennen, daß es sich bei ihrem schlummernden Publikum um IOC-Präsident Samaranch handelt. Geistesgegenwärtig betäuben sie den Oberolympier mit Äther und verfrachten ihn zum Eiskunstlaufen in die White-Ring-Halle, wo Samaranch kurz nach Beendigung des Eistanz-Originalprogramms erwacht.

16. Februar. In einem Kommuniqué gibt das IOC bekannt, daß Eiskunstlaufen für alle Zukunft aus dem olympischen Programm gestrichen wird.

17. Februar. Das deutsche Team steht im Mannschaftswettbewerb von der Großschanze kurz vor dem Triumph. Ein durchschnittlicher Flug des letzten Springers würde zum Sieg genügen. Doch während sich Dieter Thoma auf seinen Einsatz vorbereitet, sieht er plötzlich den grinsenden Jens Weißflog vor sich, der ein fröhliches „Glickwunsch“ kräht. Thoma prallt mit entsetztem Kreischen zurück, rutscht in die Spur und landet halbohnmächtig bei 43 Metern, während sich Masuhiko Harada hämisch grinsend die Gummimaske vom Kopf zieht. Anschließend fliegt der Japaner unter dem Jubel des Publikums zum dritten Springergold für die Gastgeber.

20. Februar. Elfi Eder, die zuvor bereits Gold in der Kombination und Bronze im Slalom gewonnen hat, holt Silber im Riesenslalom. Damit zieht Grenada im Medaillenspiegel an Österreich vorbei, das bei den alpinen Skirennen vollkommen leer ausgeht, nachdem der Verband sämtliche Maiers und Strobls auf Lebenszeit gesperrt hat, weil sie im olympischen Dorf mit Andreas Goldberger zusammen gesehen worden waren.

22. Februar, morgens. Abgesagt werden muß der 50-km-Langlauf der Männer. Die gesamte Strecke ist plötzlich total vereist. Schon während der Nacht hat die örtliche Polizei eine verdächtige Person festgenommen. Es stellt sich heraus, daß es sich dabei um eine portugiesische Putzfrau handelt, die nach längerem Verhör zugibt, die Loipe komplett mit Weihwasser ausgegossen zu haben. Knapper Kommentar vom Deutschen Johann Mühlegg: „Gnade!“

22. Februar, abends. Durch ein klares 10:0 gegen die kanadischen Profis aus der NHL gewinnt die deutsche Eishockeynationalmannschaft das Finale des olympischen Turniers. Geheimnis des Sturmlaufs der Mannschaft von George Kingston sind die nach dem 0:5 gegen Japan im ersten Match von den Eisschnelläufern ausgeborgten Klappschlittschuhe, mit denen keine Partie mehr verlorengeht.

Der Versuch Kanadas, den Vorteil der Deutschen durch den Einsatz neuartiger Klappschläger zu kontern, schlägt fehl, weil die Geräte die Tendenz haben, sich beim Crosscheck um den Hals des Täters zu wickeln und diesen zu erwürgen. So kommt es, daß in den Schlußminuten des Endspiels auf kanadischer Seite nur noch Wayne Gretzky auf dem Eis steht, der prompt den Fairneßpreis gewinnt und nach dieser letzten Schmach von seinem Verband auf Lebenszeit gesperrt wird.

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