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■ SurfbrettDer einsame Dichter und sein Windows 59

Ganz ohne Exhibitionismus kommt Rainald Goetz nicht aus. Kein Dichter kann das, nur sagen es nicht alle so heftig wie er. Vermutlich ist es schwierig, gegen das Image des Popstars anzuschreiben, genialisch schreiben muß er aber einfach, um es auszuhalten, und dabei hilft ihm das Internet über die Hürden. Goetz, der Kultdichter mit Poetik-Vorlesungen in Frankfurt, schreibt Tagebuch online unter seiner eigenen Top-Level-Adresse www.rainaldgoetz.de. Ein Skript, das einen gewissen „Herrn Goetz“ dazu auffordert, sein Paßwort einzugeben, funktioniert glücklicherweise nicht, die täglichen (oder beinahe täglichen) Notizen sind frei zugänglich, wir können mitlesen, was Goetz über sein Buch „Rave“, das Theater, das Fernsehen, die Musik und die Kollegen denkt. „Abfall für alle“ heißt das, oder auch „Licht“, so, als müsse er dem Stockhausen und seinen lichtenen Wochentagen noch einmal heimleuchten. Kein schlechtes Leben insgesamt, gedankenvoll, daher lesenswert, nur scheitert die Schreibtherapie gelegentlich daran, daß Gates' unvermeidliches Windows auch hier unvermeidlich war. Mal muß Goetz grübeln, ob wohl die Microsoft- Schrift Arial besser zum Tagebuch passe als die Times, diesen Montag aber war er auch diese Sorge los:

„Montag, 4.5. 98, Berlin. Plötzlich kalt. Regen.

825. Wie der Computer gestern nicht mehr ging, dachte ich immerzu nur an hier. Wie soll das jetzt weitergehen mit Abfall? Dienstag, Frankfurt, besser könnte es jetzt nicht passen, dieses Problem. Brutale Panik. Wenn die Maschine schweigt, heißt das: Ende der Vorstellung. Das wars. Ganz normal: ich hatte natürlich im Lauf der Zeit wieder völlig vergessen, in welchen Abhängigkeiten ich hier hänge, mit meinen Worten. Kolbenfresser, auf der Autobahn, nachts um halb drei, einspurige Baustellen-Stelle, den Berg hoch, Gegenverkehr. Oder ist nur ein Zylinder ausgefallen? Kommt man noch hoch? Wie man mit den Zehenspitzen am Gaspedal ins Innere des Motors horcht und tastet. So saß ich vor meinem toten Maschinchen, mit aufgerissenen Augen, und tat, was Christoph, der Computer Doktor, der in München Moosach am Abendessentisch noch saß, mir telefonisch riet. Als nach einer halben Stunde dies probieren und jenes machen, und im Systemkonfigurationsprogramm das noch mal so und das ein bißchen anders vielleicht einstellen – der Reset-Restart tatsächlich wieder GING, und es hieß: Windows 95 wird gestartet... Punkt punkt punkt, und dann passierte das auch noch genau, und das blaue Windows Fenster ging auf. Leute, das sind Glücksmomente, Wahnsinn. Danke Christoph, vielen Dank.“

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