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Nie war so viel Underground

■ Bildungsbürger flüchten, Multi-Kulti-Spinner simulieren Regen: Beobachtungen beim 21. Oldenburger Kultursommer

Der diesjährige 21. Oldenburger Kultursommer konnte mit zwei Überraschungen aufwarten: Einer angenehmen und einer unangenehmen. Die unangenehme bestand darin, daß erstmals für einige Veranstaltungen Eintritt bezahlt werden mußte. Dies hing zum einen mit Personal- und Geldmangel der bisherigen Organisatoren, dem Oldenburger Kulturamt, zusammen. Aus diesem Grund wurde die Gesamtleitung der Kulturetage Oldenburg übertragen. Diese integrierte ihr alljährliches Sommertheater in den Kultursommer und weitete ihn somit von drei auf fünf Wochen aus.

Zu den angenehmen Überraschungen zählten die Einladungen von Tortoise und Nils Peter Molvaer. Und dies nicht nur, weil ihre Konzerte umsonst waren, sondern weil sie mit der üblichen Mischung aus Tanztheater, Mainstream-Jazz, Multi-Kulti-Elend, etablierten Größen und Töpfermarkt, dem ganzen alternativen Kultursommermuff also, nichts zu tun hatten. Nie war so viel Underground-Szene-Publikum auf einem Kultursommer-Konzert zu sehen wie beim Tortoise-Auftritt.

Nach einem eher belanglosen Vorgeplänkel einer mit der Band befreundeten Songwriterin (unter tatkräftiger Unterstützung von Tortoise-Bassist Doug McCombs), spielten Tortoise die mit den üblichen Kultursommer-Bildungsbürgern bestückten Bänke vor der Bühne in kürzester Zeit leer. Mittel hierzu waren ein Free-Jazz-Intro des Trompeters und ein recht krachiger Opener. Die Verbliebenen konnten sich dann am gemütlichen Tortoise-typischen Mischmasch aus Dub, Rock, Minimalismus, Easy Listening und was weiß ich noch erfreuen. Das ganze wurde bisweilen allerdings so gemütlich, daß man den bereits Tortoise-Flüchtlingen etwas mehr Standvermögen gewünscht hätte. Es hätte ihnen bestimmt gefallen. Erst in den drei Zugaben gewann das Ganze wieder an Spannung und Dynamik und erinnerte an ihre offensichtlich vergangene Hochzeit vor drei, vier Jahren.

Molvaer war dann einen Tag später zwar auch eher enttäuschend, aber auch sein Mix aus elektrischem Miles Davis und moderner Sample-Technologie ist für den Kultursommer geradezu revolutionär. Für den Jazz dagegen eher weniger, den vermißte man eher. Wenn überhaupt jemand aus der Band improvisiert hat, dann war das der DJ, und der war meist kaum zu hören. Die Restband klang, als würde sie sklavisch die Platte nachspielen. Auch hier war das Publikum aber gewohnt dankbar. Was auch okay ist, wo sonst kann man schon umsonst größere Konzerte sehen und hören.

So war das beste Konzert aber jenes, das noch am ehesten ins sonst übliche Programm des Kultursommers paßte: Der Auftritt von Badi Assad, einer Gitarristin und Sängerin aus Brasilien, am letzten Wochenende. Das Konzert fand auch noch unter den ungünstigsten Bedingungen statt: Wegen schlechten Wetters wurde es in die Kulturetage verlegt, es kostete Eintritt und lockte vor allem Multi-Kulti-Spinner an. Und die machten gleich jeden Scheiß mit: Auf Aufforderung per Klatschen Regen simulieren oder Rhythmen summen. Dies und die etwas peinlich anmutende gelegentliche Theatralik Badi Assads sowie die für die etwas üppiger arrangierten Stücke ihres fünften Albums und ersten Megasellers „Chameleon“ eingespielten Playbacks konnten trotzdem den fantastischen Gesamteindruck des Konzerts nicht zunichte machen. Was Assad allein mit ihrer Stimme und Gitarre und gelegentlich eingesetzten Percussioninstrumenten, die wie zweckentfremdete Küchengeräte oder die längsten Schlüsselanhänger der Welt aussahen, an dichtem Sound und dynamischen Songs herausholte, war unglaublich. Die ultimative One-Woman-Show, inklusive Mund- und Gesichtspercussion. Da sind sogar Eso-Anflüge verzeihlich. Dieter Wiene

Der Kultursommer ist noch nicht zu ende. Heute, 4. August, präsentiert Jutta Heinrich um 22.30 Uhr im Schloßgarten phantastisch-skurrile Geschichten. Am 6. August um 22 Uhr tritt der Songwriter Tom Liwa im Wasserturm auf. Am 7. August um 22.30 Uhr wird der Film „Norderlingen“ im Schloßgarten gezeigt.

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