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„Belastung für Anwohner“

■ Ehrung für im KZ ermordete Jüdin scheiterte in Ottensen an formalen Richtlinien / Vielleicht lieber in Allermöhe? Von Heike Haarhoff

Das Gedenken an die Ermordeten des Nazi-Regimes findet in Hamburg abseits der Daten offizieller Betroffenheitspflicht nicht statt: Wenn sich Kriegsende am 8. Mai oder die Judenpogrome am 9. November jähren, setzen Politiker bestürzte Mienen auf und halten noch bestürztere Reden. So, wie pünktlich zu Karneval in Frohsinn verfallen wird, ist an den Gedenktagen Nachdenklichkeit angesagt. Im krassen Gegensatz dazu steht der Umgang mit der Geschichte während des restlichen Jahres.

Mit der Umbenennung der Ottenser Boninstraße in „Betty-Levi-Straße“ wollte der Bezirk – stellvertretend für die vielen NS-Opfer – an die 1882 geborene Jüdin Betty Levi aus Ottensen erinnern. Sie war am 11. Juli 1942 von den Nazis nach Auschwitz deportiert und dort – vermutlich noch im selben Monat – ermordet worden.

Betty Levi hatte jahrelang mit ihrer Familie in der Klopstockstraße 23 gelebt, bis ihr Haus während der Nazi-Diktatur enteignet wurde. Nach 1945 verkauften ihre inzwischen in die USA und nach Israel emigrierten Kinder das Haus an die Stadt Hamburg.

Einstimmig hatte der Hauptausschuß der Bezirksversammlung Altona am 13. April die Straßen-umbenennung beschlossen; Ende August sollte eine in den USA lebende Tochter Betty Levis, die der Senat zusammen mit weiteren aus Hamburg geflüchteten Juden eingeladen hatte, am feierlichen Schildertausch teilnehmen. Die Tochter kam, nichts von dem Angekündigten geschah, und fuhr enttäuscht wieder ab.

„Nach den Richtlinien des Senats finden Straßenumbenennungen nicht statt“, sieht der stellvertretende Leiter des Senatsamts für Bezirksangelegenheiten, Michael Klahn, keinen Anlaß, von diesem Grundsatz abzuweichen. „Ausnahmen machen wir nur ganz selten, zum Beispiel bei wichtigen historischen Persönlichkeiten.“ Betty Levi gehörte nach Senatsamtsmeinung wohl nicht dazu. Klahn sucht nach Ausflüchten: „Es wäre ein zu hoher Verwaltungsaufwand und eine zu hohe Belastung für die Anwohner gewesen.“

Die 24 in der Boninstraße ansässigen Haushalte hätten sich nämlich neue Visitenkarten und Briefpapier drucken lassen müssen. Sobald eine Straße neu erschlossen werde, könne Betty Levi aber bei der Namensvergabe berücksichtigt werden. Da dies im dicht besiedelten Ottensen ohne Großflächenbrand mittelfristig wohl nicht zu erwarten ist, hat man den enttäuschten Altonaer Bezirkspolitikern angeboten, mit einer Straße in einem Neubaugebiet vorlieb zu nehmen.

Welche Rolle spielt es schon für Ignoranten, ob Betty Levi aus Ottensen nun eine Straße in ihrem Stadtteil oder in Neu-Allermöhe bekommt.

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