: Aus dem Jetzt und über uns
Genauso welthaltig wie von der Sehnsucht nach Nähe geprägt: Pina Bausch und ihr Wuppertaler Tanztheater mit dem Stück „Masurca Fogo“ in der Volksbühne ■ Von Katrin Bettina Müller
Glückliches Paris: Dort ist Pina Bausch jedes Jahr zwei Wochen zu Gast, und vier verschiedene Theater bemühen sich um ihre Stücke. Gewitztes Los Angeles: Da schlossen sich 1996 vier US-Universitäten zusammen, um dem Wuppertaler Tanztheater einen dreiwöchigen Arbeitsaufenthalt als Basis einer Koproduktion anzubieten. Armes Berlin: Hier brachte seit dem Theatertreffen 1981 kein Opernhaus und keine Bühne mehr eine Einladung zustande.
„Das mag außerhalb dieser Stadt niemand glauben.“ Nele Hertling, die als Intendantin des Hebbel-Theaters und des Tanzfests im August oft vergeblich nach Bühnen und Finanzmitteln für ein Bausch-Gastspiel in Berlin gesucht hat, mußte diese Tatsache zu Beginn der Pressekonferenz mit Pina Bausch im Hebbel-Theater erst einmal loswerden. Auch jetzt gelang die Finanzierung erst im letzten Augenblick mit Mitteln aus dem Hauptstadtkulturfonds und von privaten Sponsoren. Nur der Ort war schnell gefunden: Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz sagte dem Hebbel- Theater sofort zu. Die Karten waren in wenigen Stunden ausverkauft. Denn die Begeisterung für Pina Bausch hat längst nicht nur Tanzfans ergriffen. Im Gegenteil. Vielen reicht ein Stück von ihr, um dann dem Rest der Tanzwelt enttäuscht für immer den Rücken zuzukehren.
Seit 1986 haben viele Stücke des Wuppertaler Tanztheaters ihren Anfang auf Reisen genommen: in Rom, Palermo, Madrid, Wien, Los Angeles, Hongkong und Lissabon. Pina Bausch beschreibt die drei Wochen in einer fremden Stadt, in der sie der Alltag mehr als Hochkultur interessiert, als einen Katalysator, der Entwicklung und Klärung der Tanzbilder beschleunigt. In Lissabon, wo die Arbeit an „Masurca Fogo“ begann, traf sie dabei auf eine Vielfalt der Musik – Fados, portugiesische Trommelmusik, Tangos, brasilianische Walzer und Musik aus Kap Verde –, die welthaltig und zugleich von der Sehnsucht nach Nähe geprägt ist. Das war wie eine Bestätigung der Leitmotive ihrer Stücke. Doch viel reden oder gar über den Optimismus diskutieren, den die meisten Rezensenten in „Masurca Fogo“ als neues Element ausgemacht haben, möchte die Choreographin nicht, schon damit jeder Zuschauer dem eigenen Gefühl vertraut.
Nur so viel: „Immer aus dem Jetzt“ kommen und „immer über uns“ erzählen ihre Stücke. Beschreiben, ja, interpretieren, vielleicht, erklären – nie! So begegnet das Tanztheater von Pina Bausch der Welt, und diese Hingabe an ein Erzählen, das nicht nur aus der Erfahrung ihrer Person, sondern aus dem Wissen und Empfinden des ganzen Ensembles schöpft, erzeugt in „Masurca Fogo“ einen dichten Strom vielfarbiger Tänze, Spiele, Szenen. Oft passiert vieles zugleich, und die Tänzer müssen über die Bühne sprinten, um noch rechtzeitig zu kommen.
In „Masurca Fogo“ scheint das Treiben der Menschen mit ihren Sehnsüchten und Einsamkeiten nur eine der vielen Schriften, in denen das Leben sich äußert. Filmbilder, die über die Tanzenden geblendet werden, rücken die Szenen in eine Distanz, aus der frühere Angst und Schwächen kaum noch schmerzen.
Der Fels, der sich im Bühnenbild nach vorne schiebt, und Bilder von Vogelschwärmen und Blumen halten den Menschen eine Kraft und einen Rhythmus entgegen, an denen sich Gefühle wie kleine Wellen brechen und verebben. Wirbelstürme hat es genug gegeben: Die furiosen Tanzsoli der jungen Männer und die Sucht einer jungen Frau, gerettet werden zu wollen, zeugen davon. Was geschieht, geschieht immer mit der Unmittelbarkeit der Gegenwart; und doch glaubt man am Ende, in einem Album der Erinnerungen geblättert zu haben.
In einer der schönsten Szenen baut das Ensemble in Windeseile eine Hütte aus herbeigeschlepptem Strandgut und tanzt dann miteinander in dieser improvisierten Bude: Selten kommt der Tanz der puren Freude darüber, nicht allein zu sein, so nahe.
3. bis 6. Dezember in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen