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Happy Ölchatchen mit Musik Von Susanne Fischer

Ich lebe in einer Gegend, wo vom späten September an bis weit in den Mai hinein immerzu November ist. Andere nennen es Norddeutschland, ich sage –. Na, ich sage es lieber nicht. Manchmal merke ich auch schon gar nichts mehr, aber neulich zum Beispiel, als John aus Kalifornien nach zehntägigem Besuch plötzlich auf unserem nicht sehr sauberen Teppichboden auf die Knie fiel, bloß weil versehentlich die Dauerwurst von einer Wolkendecke ein Loch kriegte, wenn auch nur für zehn Sekunden, da also, als John sich im Staube kniend bekreuzigte, obwohl er eigentlich nur an Amerika glaubt und nicht an Gott, da merkte ich es wieder mal.

Um uns herum wohnen Bauern, die auf ihren Höfen riesige Maschinen aufbewahren, von denen man nicht gleich erkennt, wozu sie gut sind. Früher glaubte ich, die Landwirte würden damit heimlich nachts auf ihren Äckern die technoide Version von Jurassic Park inszenieren, aber inzwischen weiß ich es besser. Ab Herbst haben sie ja praktisch nichts mehr zu tun. Da fahren sie zuerst mit dem großen Entfärber über Land und ziehen das Grün raus. Dann kommen sie mit dem Versiegeler, damit sich das lebhafte Mausgraubraun auf den Feldern und in den Wäldchen auch bis zum nächsten Sommer frischhält. Darauf folgt der Durchgang mit der Walze. Sie wird am Himmel angekoppelt – wie sie das eigentlich machen, bleibt ihr Geheimnis, aber man sieht doch immer noch recht viele sonntags zur Kirche laufen.

Jetzt wird der Novembernebel kräftig eingewalzt und verdickt, hin und her und her und hin, bis man bestimmt keine Luft mehr kriegt, wenn man sich nicht zufällig zehn Meter über dem Erdboden befindet, und wer tut das schon. Danach kommt oben eine Plane drüber, die mit vielen Autoreifen beschwert wird; man kennt das ja. Darunter müssen wir bleichen Angesichts in Sauerfutterstimmung bis weit nach der Frühjahrsbestellung leben. Mit der Berieselungsanlage halten sie mühelos die Luftfeuchtigkeit von 300 Prozent.

Falls jemand ans Auskneifen denkt, sei es auch nur zum Kino in die Kreisstadt, veranstalten sie mit dem Mähdreschergebläse einen Wirbelsturm und werfen Bäume über die Straße. Denn niemand soll ihren ländlichen Vergnügungen entgehen; entweder zum Herbert-Wehner-Ähnlichkeitswettbewerb mit Peter Struck im Dorfgemeinschaftshaus oder zum „lustigen Schmaus mit Musik“ werden sie uns schon überreden, nachdem sie beim letzten Gewitter per Blitzeinschlag und Überspannung unseren Fernseher ruiniert haben.

Falls uns Fettfressen mit Akkordeonbelästigung und der Pfeifenvergleich unter der Schirmherrschaft der SPD noch nicht den Rest gibt, haben sie immer noch einen Trumpf in der Tasche. „Damen- Chatchen mit Puplikumsbeteiligung“ verspricht das Plakat. In der Disco im Nachbardorf wurde nämlich soeben die exklusiv niedersächsische Rechtschreibreform ins Werk gesetzt. Macht ja nichts. Als nächstes erklären wir sowieso dem Rest der Repuplik unsere Unapchängigkeit. Mit Schröder als König: Den will ja jetzt schon keiner mehr, also kommt er wieder nach Hannover. Wenn die Disco trotz Damenölen mal nicht mehr so läuft, vertraute mir der Besitzer an, kann sie mit wenigen Handgriffen in einen Schweinestall verwandelt werden. Merkwürdig klug.

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