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Immer auf die Rumkirschnuß ■ Von Susanne Fischer
Wenn mir mal gar nichts mehr einfällt, will ich betreut werden. Ich habe ein Recht darauf! Und es gibt noch viel zuwenig Betreuer in unserer Gesellschaft. Genaugenommen könnte die eine Hälfte der Bevölkerung von der anderen betreut werden, auch damit niemand mehr arbeitslos sein muß. Und mittags wird getauscht.
Meine Betreuer müßten mit mir ins Kaufhaus gehen und mir neue Hosen kaufen, schon weil ich mich nicht entscheiden kann. Die Hosen müßten zu kurz sein und falsch gestreift aussehen, so als sei der Stoffdesignerin von der Farbbetreuerin ein Bein gestellt worden, weil sie sich über die Blümchenmuster auf den neuen Vorhängen, die jetzt überall in der sog. Berliner Republik vorgeschrieben sind, nicht einig werden konnten. Nachmittags würde ich dann meine Betreuer betreuen und ihnen im Eiscafé schreckliche Sorten bestellen wie Rumkirschnuß und Eiercreme. Falls sie sich beschweren, werde ich sie darauf hinweisen, daß so ja auch die Farben auf meiner neuen, zu kurzen Hose heißen. Nun iß schön auf, Hasi, das ist extra für dich hierhergestellt worden.
Wenn das Land betreuungsmäßig durchorganisiert wäre, würden bestimmte Gestalten nicht mehr auffallen, und das allein wäre die ganze Sache wert. Zum Beispiel der Kopf des Trios neulich bei Karstadt: Zwei kleine, behinderte ältere Frauen werden von einer Weibsperson durch den Laden geschleift, die gut doppelt so groß und so dick ist wie sie. Dieses aufgeblasene Huhn hat im richtigen Leben nichts zu melden, aber das macht ihr nichts aus: Immerhin kann sie ja noch ihre Schützlinge zwingen, furchtbare Klamotten zu tragen. Noch furchtbarer als die, die sie selbst anhat. Daß ihre Begleiterinnen behindert sein müssen, erkennt man übrigens nur an ihren unmodischen Frisuren und den Brillengestellen à la „diemacht der Dorfschmied noch selbst“. Und daran, daß niemand freiwillig mit einer solchen Person einkaufen gehen würde, natürlich.
„Diese Dame“, trompetet die Betreuerin und zeigt mit dem Finger auf eine der beiden, „diese Dame möchte ihre neue Jacke gleich anbehalten. Es ist ihr in der alten zu warm“, sagt sie. In der Tat hat sie das gesagt, und die Verkäuferin hat es verstanden. Eigentlich wollte die Betreuerin auch nur verkünden: Ich bin nicht mit ihr verwandt; sie ist nämlich behindert. Ist es nicht schön, Verkäuferin, daß wir zwei nicht behindert sind? Ja!, lacht die Verkäuferin, und das senfgelbe Monster wandert an den Körper der Kundin zweiter Klasse. „Das paßt nicht“, sagt die andere Betreute, die ihre neue Hose bereits wie einen schweren Schlag eingesteckt hat. Da hat sie recht. Die Jacke paßt überhaupt nicht, und deshalb wiederholt sie ihre Meinung noch etwa fünfzehnmal.
Komischerweise können Betreuerin und Verkäuferin sie nicht hören. Wahrscheinlich, weil sie mit dem Zahlvorgang beschäftigt sind. Wer betreut wird, darf kein Geld haben. Er darf von einem Bein aufs andere treten, während die Erwachsenen sich unterhalten.
„Ich wünsche Ihnen noch eine schöne Woche und angenehme Ostern“, sagt die Trägerin der senfgelben Jacke am Ende zur überraschten Verkäuferin. Und das ist bekanntlich hierzulande, wo man neuerdings wieder mit Sieg Heil! grüßen muß, durchaus ein Grund für lebenslängliche Betreuungsmaßnahmen.
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