■ Bundespräsident Herzog hält seine zweite Rede zur Bildung: Aufbruch in Klarsichtfolie
Eigentlich mag er das Wort Innovation nicht, vertraute Roman Herzog am Vorabend des Kongresses den Honoratioren beim Essen in der vornehmen Redoute an. Es gehe darum, daß man anders sein darf. „Wir brauchen Institutionen, die es ermöglichen, anders zu sein und anders zu denken.“ Hut ab, Mister President! Das Zeitalter geistigen Klonens von Menschen durch Unterrichten wird von höchster Stelle als beendet verkündet. Statt dessen: Aufrichten!
In der Bonner Beethoven-Halle beim „Deutschen Bildungskongreß“ formulierte der scheidende Bundespräsident sein politisches Testament: „Bildung, Bildung, Bildung – nicht nur Ausbildung!“ Schulen sollen sich zu Netzwerken zusammenschließen: „Geben wir unseren Bildungsinstitutionen die Möglichkeit, ihre jeweils eigenen Lösungsmodelle zu finden und auszuprobieren.“ Gut. Sehr gut! Aber: Es ist schon eine eigenartige Szene beim von der Bertelsmann-Stiftung veranstalteten Kongreß. Da sitzen Hunderte von Männern, kaum Frauen, wenige unter 55. Die Stiftung legt ein Memorandum vor. Da steht alles drin, „neue Lernkultur... Profile schärfen... Autonomie“. Dennoch: ein Aufbruch in Klarsichtfolie.
Niemand läßt sich von den großen, zuweilen kulturrevolutionären Worten provozieren. Fühlt sich überhaupt jemand angesprochen? Fest steht immerhin: Niemand kann sich mehr darauf rausreden, daß man sich nicht bewegen darf. Wer hindert Schulen, Hochschulen & Co daran, endlich aufzuwachen?
Die oben werden's nicht richten. Die unten haben keine Ausrede mehr – und viele fangen tatsächlich an. Das zeigen Schulen und Hochschulen, die sich am Rande des Kongresses präsentieren. Einen Vorschlag des Initiativkreises Bildung der Bertelsmann-Stiftung kann man wirklich aufnehmen: Klubs gründen und vor Ort bildungspolitische Allianzen schmieden. Oder wie es der niederländische Generalinspekteur für das Bildungswesen, Ferdinand Mertens, in Bonn sagte: „Laßt die Vorschriften fallen. Jede Schule evaluiert sich jedes Jahr selbst. Das wäre ein Strukturwandel der Öffentlichkeit.“ Reinhard Kahl
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen