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Werbespot trotz Kinder-Bonus

Nach dem Gewinn der Europaliga durch Zalgiris Kaunas stellt sich die Frage, ob sich deren Offensiv-Basketball auch europaweit wird durchsetzen können  ■ Aus München Matti Lieske

Irgendwann platzte Ettore Messina dann doch der Kragen. „Ich glaube, ich muß etwas klarstellen“, sagte der Coach des entthronten Titelverteidigers Kinder Bologna. „Jeder erinnert sich daran, daß wir das letzte Finale mit einem sehr niedrigen Ergebnis gewonnen haben, aber wir haben auch schon viele Spiele mit 80 Punkten und mehr gewonnen.“ Messina hatte es satt, daß seine Mannschaft nach dem gegen Zalgiris Kaunas mit 74:82 verlorenen Europacup-Finale allenthalben als Protagonist jenes defensiven, langsamen, punktarmen Basketballs gehandelt wurde, der die Final-Four- Turniere der vergangenen Jahre zu äußerst zähen Angelegenheiten gemacht hatte.

In München jedenfalls war unisono vom besten Turnier und packendsten Endspiel seit langem die Rede, und besonders Florian Wanninger vom Weltbasketballverband Fiba war überglücklich. Schließlich ist es nicht gerade die gelungenste Promotion für den europäischen Basketball, wenn ausgerechnet das Schaufenster der Saison, auf das Fernsehzuschauer in ganz Europa schauen – außer im hinterwäldlerischen Deutschland, wo kein Sender übertragen mochte –, eine stocklangweilige Angelegenheit ist. Diesmal gab es Basketball zu sehen, der an Intensität, Tempo und Klasse absolutes NBA-Niveau erreichte. Ein einziger Werbespot für die Europaliga.

Ebenfalls einig waren sich alle, daß die Qualität der Veranstaltung vor allem dem neuen Champion Zalgiris Kaunas zuzuschreiben war. Die Litauer pflegen nicht den jugoslawisch-griechischen Stil, der sich bislang meist als der erfolgreichste erwies und bei dem aus einer dichten Defense heraus der Ball langsam nach vorn gebracht wird, man die 30 Sekunden Angriffszeit möglichst ausspielt, um dann mit perfekt einstudierten Spielzügen zu punkten oder Fouls zu provozieren. In Litauen liebt man den amerikanischen Stil, begünstigt durch die vielfältigen Beziehungen in die USA. Sarunas Marciulonis, Arvidas Sabonis, Zydrunas Ilgauskas spielen in der NBA, viele junge Spieler an Colleges, und Don Nelson, Coach der Dallas Mavericks, war Berater des litauischen Nationalteams, sein Sohn sogar lange Assistenztrainer.

Das war, bis er selbst Nationaltrainer wurde, auch Zalgiris-Coach Jonas Kazlauskas. Er weiß zwar, daß Defense Meisterschaften gewinnt, sagt aber auch: „Jeder, der auf den Platz geht, hat eine Verantwortung gegenüber den Zuschauern.“ Natürlich sei es das Wichtigste zu gewinnen und eine harte Abwehrarbeit unerläßlich, aber: „Wenn man einen Kader hat, der sehr gut in der Offense ist, ohne die Defense zu vernachlässigen, ist das extrem gut für die Zuschauer, für den Basketball.“

Einen solchen Kader hat Kazlauskas. Das – vorwiegend griechisch-italienisch-litauische – Publikum in der Olympiahalle traute seinen Augen kaum, als Zalgiris, wie schon im Halbfinale gegen Olympiakos Piräus, auch gegen den zweiten haushohen Favoriten, Kinder Bologna, mit traumhaften Aktionen zügig davonzog. Schwindelerregende Kombinationen, sichere Distanzwürfe, dynamische Soli – Kaunas hat alles im Programm, was das Basketballherz erfreut. Bologna holte dafür Offensivrebounds, was auch bitter nötig war, denn kaum landete der Ball in den Händen des brillanten Zalgiris-Spielmachers Tyus Edney, später zum besten Spieler des Turniers gekürt, ging die wilde Jagd los. Zwar war Bologna besser auf die Fastbreaks von Kaunas eingestellt als Piräus, bremsen konnte es diese trotzdem selten.

Auf der anderen Seite kamen die Stars Danilovic, Nesterovic und Rigaudeau gegen die Abwehr der Litauer kaum zum Zuge. Nur Rigaudeau konnte sich in der zweiten Halbzeit befreien und war mit seinen am Ende 27 Punkten maßgeblich an der Aufholjagd der Bologneser beteiligt. Ein anderer Grund für das Schmelzen des zwischenzeitlich auf 20 Punkte angewachsenen Vorsprungs war der berüchtigte Kinder-Bonus, eine in der Europaliga oft zu beobachtende Häufung seltsamer Schiedsrichterentscheidungen zugunsten Bolognas.

Der führte dazu, daß zwei Schlüsselspieler auf Seiten von Kaunas, Anthony Bowie und Saulius Stombergas, früh mit vier Fouls vor der Disqualifikation standen und lange auf der Bank saßen. Bis auf sechs Punkte kam Kinder heran, doch dann schlug Anthony Bowie zu. Ein Dreier 55 Sekunden vor Schluß, direkt gefolgt von einem Steal, besiegelte den Sensationssieg des Debütanten.

„Wir waren ein Nobody in der Europaliga“, sagte Mindaugas Zukauskas, einer jener Bankspieler von Zalgiris, die unverzüglich punkten, wenn sie aufs Feld kommen. „Niemand hatte geglaubt, daß wir so weit kommen.“ Das Ziel des Teams seien eigentlich bloß die Playoffs gewesen, meinte Zukauskas, der am Ende elf Punkte erzielt hatte.

Ob das Beispiel von Zalgiris Kaunas tatsächlich den europäischen Basketball revolutioniert, darf jedoch bezweifelt werden. Nur wenige Teams, darunter Alba Berlin, pflegen die publikumsfreundliche, auf Fastbreaks ausgerichtete Variante, und Ettore Messina gab zu bedenken, daß meist die langsamere Mannschaft den Rhythmus eines Spiels bestimmt. Eine These, die das Finale vom Donnerstag allerdings eher widerlegte. Selten hat man Bolognas Spieler so rennen sehen wie in der zweiten Halbzeit bei ihrer dramatischen Aufholjagd.

Eine andere These hat Zalgiris Kaunas in jedem Fall ad absurdum geführt: Daß man mit attraktivem Basketball in Europa nichts gewinnen kann.

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