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Wer wird Hitler 2000?    ■ Von Wiglaf Droste

So ein Hitler stabilisiert ungemein. Wohl dem, der einen Hitler hat, einen neuen Hitler, einen virtuellen. Der muß sich keine Gedanken mehr machen, der hat ausgesorgt, für den ist alles klar. Wer erst einen Hitler hat, der hat auch ein Auschwitz, das er anderen in die Schuhe schieben kann. So etwas ist sehr praktisch.

Einer der ersten, der die industrielle Vernichtung von Menschen zum Synonym nahm für alles, was ihm irgendwie nicht paßte, war Jürgen Fuchs. Die DDR nannte er ein „Auschwitz in den Seelen“. In einem Land, in dem die Öffentlichkeit bei Trost wäre, hätte man von so einem kein Stück Brot mehr genommen. Nicht so in Deutschland: Da darf man sich unter Applaus mit Millionen ermordeter Juden gleichsetzen, wenn's nur dem guten Zweck der Selbsterhöhung dient.

„Die Hitler kommen und gehen, das deutsche Volk aber bleibt bestehen“, soll Josef Stalin einmal gesagt haben. Der Mann hatte leider recht: Das deutsche Volk ist immer noch da, und die Hitler kommen sogar in inflationären Massen. Wladimir Schirinowski war der „Russen-Hitler“, Saddam Hussein sogar ein globaler, ein Mann mit dem ulkigen Namen Bin Laden bzw. Bin gleich wieder da wurde kurzfristig als Versuchshitler aufgebaut, der Libyer Gaddafi wird immer mal wieder gern genommen, Frank Schirrmacher wird als „der neue Hitler der FAZ“ gehandelt, und manchmal, wenn gerade kein anderer Kandidat greifbar ist, muß irgendein kolumbianischer Drogenfitti den Hitler geben. Hochbeliebt ist auch der „Hitler in uns allen“, von dem zeitweise sehr gesprochen wurde. Dessen Existenz aber ist nicht gesichert: Ich habe bei mir nachgesehen, und es war kein Hitler da. Oder versteckt er sich nur besonders gut? Das sind so Fragen.

Klar ist: Ein Hitler wird dringend gebraucht. In Feuilletonistensprech gesagt: Hitler – verzweifelt gesucht. Ohne einen neuen Hitler wäre die freie Welt verratzt. Da muß man nehmen, wen man kriegen kann. Manche greifen sich sogar Peter Handke, obwohl der Mann sichtlich ungeeignet ist. Allein schon die Frisur! Dennoch muß Handke herhalten, weil er sich störrisch auf die falsche Seite stellt, zu den Serben, und die sind ja auch alle irgendwie ziemlich Hitler, also nicht nur ihr Chef, sondern alle. Handkes Verbrechen besteht darin, daß seine Meise anders piepst als die seiner Kollegen. Jürg Laederach nennt Handke in der Weltwoche einen „lehmverschmierten Grödaz“, und Robin Detje, früher bei der Zeit und heute einer von den vielen, die im Provinzblatt Berliner Zeitung Frust schieben, fängt richtig an zu fabulieren. „Auschwitz! ruft seit Wochen Peter Handke, begleitet von übertriebenen Leidensäußerungen“, behauptet Detje. Zwar ist es so, daß „seit Wochen“ Scharping und Fischer Auschwitz grölen, wie sie es gerade brauchen, und daß Handke es dann auch einmal tat, aber davon liest man bei Robin Detje kein Wort. Verzerrte Wahrnehmung wäre ein freundliches Wort für das Zeug in Detjes Kopf, aber die Motivlage ist fieser: Während Handke seinen religiösen Dachschaden nur für sich alleine hat, stellen sich Leute wie Laederach und Detje ganz simpel in die Meute. Die Frage aber bleibt: Wer wird Hitler 2000? Kein Millennium ohne Hitler! Wetten werden noch entgegengenommen.

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