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Hunde, die bellen, beißen nicht

Besucherrekorde beim diesjährigen internationalen Nachwuchs-Festival „Junge Hunde“  ■ Von Gisela Sonnenburg

Man ist stolz auf Kampnagel. So viel Publikum war nie: Das diesjährige – insgesamt siebente – Festival Junge Hunde sprengte die magische Grenze von 5.000 BesucherInnen. Das ist viel für ein Fest der Avantgarde, viel für ein solches in Hamburg. Auch das Rahmenprogramm, mit dem man voll im Trend lag, war stärker als in den Jahren zuvor: sieben über Theater hinausgehende Veranstaltungen lockten, dazu eine Ausstellung ungewöhnlicher Porträts von Udo Fon. Ein intellektuelles Bonbon lieferte Judith Wilske mit ihrer Frageaktion Shopping Caravan. Sie schaffte, was sie wollte: die Grenze zwischen Spiel und Kommunikation zu durchbrechen.

Clubbing, Performances, eine Filmnacht, Diskussionen – man mühte sich redlich, dem Zeitgeist Rechnung zu tragen und die Mentalität der Fun-Generation mit ernsthafter Kunstrezeption zu verbinden. Motto und Thema war dieses Jahr das „Real Life“. Keine bildgewordenen theatergeschichtlichen Reflexionen, sondern aktueller Bezug, sozialer Kontext, Brisanz waren gefragt. Ein guter Ansatz – aber ein so anspruchsvoller wie riskanter. Zumal, wenn man, wie hier, teilweise mehr oder weniger blind das Konzept einkaufen muß, weil die meisten Arbeiten work in progress oder noch im Entstehen sind.

Das Besondere an den Jungen Hunden ist außerdem, daß sie Tanz und Theater zusammenfassen. Man kann nur hoffen, daß das so bleibt, und daß das in Deutschland traditionell kleine Publikum für jungen, modernen Tanz solchermaßen eine Chance hat, sich zu vergrößern. Indem der eine oder andere Sprech-theatergänger sich auch mal für Körpersprache interessiert. Gewinner des siebenten, zehntägigen Kunsthundebellens war ohnehin das Tanzpublikum: Unter den vier Tanzabenden waren drei hochkarätige, fraglos festivalwürdige internationale Produktionen. Kubilai Khan Investigations aus Frankreich erbrachten einen furiosen Auftakt der Spitzenklasse, Rebecca Murgi, Camilla Wargo Breckling und Karine Ponties bestritten fantastische weibliche Soli, und Jasmin Vardimon und Sara Gebran choreographierten unter dem Titel Double Bill ein wahres Festival-Highlight: progressiv, subversiv, auch aggressiv.

Das getanzte Schlußlicht Greetings from Paradise, das von den Gießener Theaterwissenschaftlern Janine Schulze und Jochen Roller kam, konnte da nur neidisch aufs hohe Multikulti-Niveau schielen. Damit ist auch schon gesagt, woran das Festival krankte: an der deutschen Nachwuchskrise. Da wieder-um vor allem an der Hamburger Krise. Mit vier Abschlußinszenierungen des Diplomstudiengangs Schauspieltheater-Regie der örtlichen Uni und einer Arbeit einer dortigen Noch-Studentin war der hamburgische studentische Überhang im Festivalprogramm einfach zu groß. Künstlerischer Nachwuchs rekrutiert sich heutzutage nun mal stark im Off-Bereich, jenseits akademischen Schutzes, jenseits der Verschulung.

Unsere RezensentInnen stimmen – wie zu lesen war – vollkommen darin überein, daß die diesjährigen Ergebnisse der Hamburger Schüler schwer zu wünschen übrig ließen. Und das trotz hohem Produktionsaufwand, trotz fast unbegrenzter Möglichkeiten, professionell zu arbeiten. Die Themen, die sich die Studis suchten, waren indes alles andere als langweilig. Der Unabomber, Amerikas einst meistgesuchter Attentäter, war dabei; ein Heiner-Müller-Stück von explodierendem Kriegsbezug; Anja Gronau suchte sich jugendliche Identitätswahl als Motiv; Christoph Diem probierte sich am theatralen Dauerbrenner Don Juan. Doch wie diese hielten auch ein Stück über die Wende und eine „zeitgenössische Antikenshow“ nicht, was sie versprachen – die Jungen Hunde müssen aufpassen, daß die Flimm-SchülerInnen ihnen nicht ein Klotz am Bein werden.

Ob Elisabeth Molls Kein Ungargassenland nach Ingeborg Bachmann da einen anderen Eindruck erweckt hätte – wer weiß. Ihre Arbeit wurde kurzfristig abgesagt. Bleibt noch, den Live-Art-Abend des Duos Samtmann – wie Roller und Schulze vom Gießener Institut für angewandte Theaterwissenschaften eingeladen – zu erwähnen: wenigstens die Idee, Dokumentationstheater über den Alltag einer Hamburger Familie zu machen, war lohnenswert.

Schließlich soll ein Nachwuchsfest durchaus auch Gelegenheit zum Austesten, zum Wagnis bis zum Scheitern sein. Hier soll Neues nicht nur aufgrund seiner Qualität vorgestellt werden, sondern auch, um einen Überblick zu geben. Die Jungen Hunde verstehen sich daher als Netzwerk, das risikoreiche Theater-Newcomer fördert. Daß sie dieses Jahr zum zweiten Mal Gelder von der EU erhielten, ist erfreulich. Über ein bißchen mehr künstlerischen Biß statt PR-trächtigem, studentischem Gebell hätten wir uns dennoch gefreut.

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