: Physisch kaum erträglich
Morgen feiert die Hammoniale Komponistinnen des 20. Jahrhunderts wie Tania LeOn und entdeckt Galina Ustvolskaja neu ■ Von Eberhard Spohd
Endlich Lärm, endlich Krach, endlich geballte archaische Energie. Kompositionen von Galina Ivanovna Ustvolskaja sind für die Zuhörer eine Herausforderung. Ihre Musik kann man nicht genießen, geschweige denn konsumieren. Man muß sie ertragen. Sie führt das Publikum an die Grenze der physischen Erträglichkeit – und oft darüber hinaus.
Beim vorletzten Konzert der Hammoniale, „Komponistinnen des Jahrhunderts und ihre Wegbereiter“, das morgen in der Musikhalle stattfindet, wird ihr kammermusikalisches Stück „Composition 3, Benedictus qui venit“ für vier Flöten, vier Fagotte und Klavier nicht gerade im Mittelpunkt stehen. Andere Teile des Programms liegen den Veranstalterinnen wahrscheinlich mehr am Herzen. Die Uraufführung von Tania Leóns „Horizons“ zum Beispiel, eine Auftragskomposition für das scheidende Festival, oder die Hommage an den großen Förderer Rolf Liebermann sind zentraler in ihrer kulturpolitischen Aussage. Aber die mächtigste Wirkung wird Ustvolskaja erreichen.
Die Schülerin von Dmitri Schostakovitch hat auch die interessanteste Biographie der Musikerinnen. In der Sowjetunion wurden ihre Werke ignoriert, die kommunistischen Kader konnten mit ihrer Ästhetik nichts anfangen. Ihre Werke wurden häufig erst Jahrzehnte nach der Niederschrift uraufgeführt. Auftragsarbeiten, die sie nur angenommen hat, um zu überleben, hält sie im Nachhinein nicht mehr für eigene: „Diese Werke, die ich aus materiellen Gründen schreiben mußte“, schrieb sie an ihren Verlag Sikorski, „kann man auf den ersten Blick von meinen eigentlichen Werken unterscheiden, und sie gehören daher nicht in das Werkverzeichnis.“
Dennoch ist Ustvolskaja nicht daran zerbrochen. Im Gegenteil, sie komponierte weiter, ganz in ihrem Stil, ohne bei ihren eigentlichen Stücken Kompromisse einzugehen. „Man kann ihren Standort mit einer Felseninsel vergleichen“, urteilte ihr Kollege Viktor Suslin, „einer derartigen Selbstgenügsamkeit und einer solchen ästhetisch-stilistischen Geschlossenheit dürfte man in der Musik unserer Zeit kaum ein zweites Mal begegnen.“
Aber auch die anderen Programmteile sind aller Ehren wert, wenn auch die Auswahl ein wenig zufällig wirkt. Clara Schumann wird mit ihrem Klavierkonzert – Solistin wird die polnische Pianistin Ewa Kupiec sein – als Wegbereiterin für die Komponistinnen des 20. Jahrhunderts gefeiert, der Anfang des Jahres verstorbene Rolf Liebermann als großer Förderer des Festivals mit seiner orchestralen Bearbeitung von Franz Schuberts Fantasie in f-moll für Klavier zu vier Händen gewürdigt.
Der zweite Teil des Konzerts steht dann tatsächlich für den Titel ein: Neben Ustvolskaja werden mit Tania León, die bereits mit dem bejubelten „Drummin'“ die Hammoniale eröffnete, und Sofia Asgatovna Gubaidulina, von der in der deutschen Erstaufführung das Stück „Zeitgestalten“ für ein extrem großes Orchester gespielt wird, tatsächlich Werke von Komponistinnen des 20. Jahrhunderts zu Gehör gebracht. Ob die Entscheidung für diese Musikerinnen gerechtfertigt ist, darüber kann man lange streiten. Ein großes Konzertereignis wird der Abend allemal.
Festivalleiterin Irmgard Schleier rechtfertigte diese Auswahl mit Blick auf die programmatische Ausrichtung der Hammoniale: „Natürlich wären auch andere Musikerinnen möglich gewesen, doch der Nord-Süd- und der Ost-West-Dialog, den wir angefangen haben, soll auch hier zum Ausdruck kommen.“
Komponistinnen des Jahrhunderts und ihre Wegbereiter: Schubert/Liebermann: Fantasie in f-moll für Orchester. Clara Schumann: Klavierkonzert a-moll op. 7, Tania León: „Horizons“. Galina Ustvolskaja: Composition 3 „Benedictus qui venit“. Sofia Gubaidulina: „Zeitgestalten“; morgen, 20 Uhr, Musikhalle
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