: Todeskarrieren
Mumia Abu-Jamal wird vorerst nicht hingerichtet. Doch das US-Justizsystem produziert seine Scharfmacher systematisch. Wer gegen die Todesstrafe ist, braucht in vielen Gerichtsbezirken gar nicht erst anzutreten ■ Von Andrea Böhm
Es ist jeden Morgen das gleiche Ritual. Zwei Sheriffs führen den Verurteilten in Handschellen in den Gerichtssaal. Die Zuschauer auf den Bänken rechts des Mittelgangs – fast ausnahmslos Schwarze – erheben sich. Einige ballen zum Gruß die Faust, Frauen werfen Kußhände. „Mumia, we love you. Free Mumia.“ Die Zuschauer auf den Bänken links des Mittelgangs – fast ausnahmslos Weiße – verharren in eisigem Schweigen.
Einige Minuten später betritt der Richter den Saal, und die Rollen werden vertauscht. Die linke Seite erhebt sich respektvoll auf das Kommando des Gerichtsdieners. „Die Sitzung ist eröffnet. Alle aufstehen.“ Auf der rechten Seiten ist plötzlich ein kollektives Rückenleiden ausgebrochen. Einige erheben die Sitzfläche gerade eine Handbreit vom Stuhl.
„Das probieren wir gleich noch mal“, bellt der Ehrenwerte Albert F. Sabo von seiner Richterbank herab. „Aufstehen. Alle.“ Dieses Mal erheben sich die Schwarzen ein bißchen höher von den Stühlen. Offenbar hat heute keiner Lust, sich aus dem Saal weisen zu lassen. „Gottverdammter Kriecher“, knurrt einer. Er meint nicht den Richter, sondern den jungen afroamerikanischen Staatsanwalt Charles „Joey“ Grant.
Leidenschaft für die Todesstrafe
Grant ist eines der ehrgeizigen Nachwuchstalente im Büro der Bezirksstaatsanwältin von Philadelphia, Lynne Abraham. Ihm obliegt die Aufgabe, zu verhindern, daß das Todesurteil gegen Mumia Abu-Jamal alias Wesley Cook aufgehoben und ein neues Verfahren gewährt wird. Lynne Abraham, Parteimitglied der Demokraten mit einer Vorliebe für Katzen, Opernarien und impressionistische Kunst, bezeichnet ihre Haltung zur Todesstrafe als „leidenschaftlich“. Sie läßt in fast allen Mordfällen auf die Todesstrafe plädieren, in denen dies nach dem Strafrecht des Bundesstaates Pennsylvania möglich ist. Soll heißen: wenn mindestens ein erschwerender Tatumstand geltend gemacht werden kann, zum Beispiel Mord in Tateinheit mit Raub, Kidnapping oder Vergewaltigung, Mord an einem Polizisten. Oder das Vorstrafenregister des Angeklagten muß herhalten.
Zusammen mit den Bezirken Cook County (Chicago), Los Angeles County und Harris County (Houston) zählt Philadelphia zu den „tödlichsten“ Gerichtsbezirken im ganzen Land. Wer unter Lynne Abraham arbeiten möchte und Zweifel an der „manifesten Richtigkeit“ der Todesstrafe hegt, braucht gar nicht erst anzutreten. Oder er kann nach Pittsburgh gehen, wo Abrahams Kollege Robert Colville manchmal solche Zweifel hat. Oder er kann sich bei Robert T. Johnson, dem Bezirksstaatsanwalt des New Yorker Stadtteils Bronx, bewerben, der nach der Wiedereinführung der Todesstrafe im Bundesstaat New York vor wenigen Monaten angekündigt hat, daß er diese Praxis aus „unerschütterlichem Respekt vor dem Wert und der Unantastbarkeit menschlichen Lebens“ ablehnt. Wann ein Todesurteil verhängt wird, hat in den USA nicht nur mit der Hautfarbe des Opfers und dem sozialen Status des Angeklagten zu tun, sondern auch damit, in welchem Gerichtsbezirk die Anklage erhoben wird.
Lokalpolitik spielt dabei eine große Rolle, denn Bezirksstaatsanwälte werden ebenso wie Richter gewählt. Beide Ämter sind Sprungbretter für Juristen, die nach Höherem streben – dem Bürgermeisterstuhl oder einem Sitz im US-Kongreß. Sich als Ankläger eine Reputation als „Weichling“ zu schaffen, kann zum Stolperstein für jede weitere Kandidatur werden. Möglichst viele Plädoyers für die Todesstrafe zu halten und diese Prozesse auch zu gewinnen, ist ein opportunes Mittel, die Wählerbasis auszubauen.
Das gilt vor allem für so segregierte „law-and-order cities“ wie Chicago und Philadelphia, in denen in den letzten Jahrzehnten eine Kombination aus urbaner Verelendung, Crack, Gangkriminalität und Rassismus ein permanentes Gefühl der Hilf- und Machtlosigkeit aufgebaut hat. In diesem Klima gedeihen Politiker wie Chicagos Staatsanwalt Jack O'Malley und Philadelphias Lynne Abraham, die sich den Wählern ganz offen als „Racheengel“ präsentieren. „Ich vertrete das Opfer und seine Familie. Die Mörder verdienen es nicht, am Leben zu bleiben.“
„Klare“ Fälle, sichere Karrieren
Als am 3. Juli 1982 ein Geschworenengericht Mumia Abu-Jamal wegen Mordes an dem Polizisten Daniel Faulkner zum Tode verurteilte, ging dieser „Erfolg“ auf das Konto von Abrahams Vorgänger Ed Rendell. Faulkner war in der Nacht des 9. Dezember 1981 durch Schüsse in den Rücken und in den Kopf getötet worden, nachdem er bei einer Verkehrskontrolle den Bruder Jamals, William Cook, festnehmen wollte. Jamal wurde am Tatort, von einem Bauchschuß des Polizisten schwer verletzt, verhaftet. Neben ihm lag sein Revolver, Kaliber 38, in dem fünf Kugeln fehlten. Auf dem Weg ins Krankenhaus, so die Aussage von Polizisten, legte er ein Geständnis ab.
Klarer Fall, sagt Rendell. Was er galant unterschlägt, sind Tatzeugen, die einen anderen Mann als Todesschützen ausgemacht hatten, jedoch ihre Aussagen nach einer längeren „Unterhaltung“ mit der Polizei zurückzogen; ein gerichtsmedizinischer Bericht, der das tödliche Geschoß als eine Kugel vom Kaliber 44 beschreibt; die Aussage eines Polizisten, wonach Jamal auf dem Weg ins Krankenhaus kein Wort gesagt hat.
All dies bekamen auch die Geschworenen im Prozeß 1982 nie zu hören. Was Rendell des weiteren unterschlägt, sind die Worte, die der Berufungsrichter Vincent Cirillo 1992 schrieb, als er in einem anderen Fall ein Todesurteil aus dem Gerichtsbezirk Philadelphia aufhob: „Wir sind besonders besorgt darüber, daß Fehlverhalten auf Seiten der Staatsanwaltschaft im Bezirk Philadelphia mehr als in allen anderen Bezirken des Bundesstaates zunimmt.“ Cirillo sah sich bemüßigt, die Ankläger daran zu erinnern, daß es ihnen zuallererst um die Rechtsstaatlichkeit zu gehen habe – eine milde Mahnung, wenn man bedenkt, daß es um Todesurteile geht.
Ed Rendell ist heute Bürgermeister. Auf die Welle der Solidaritätserklärungen für Mumia Abu- Jamal, dessen Todesurteil seine Stadt plötzlich in unvorteilhaftem Licht erscheinen läßt, reagiert er sehr empfindlich. „Diese Leute haben keine Ahnung von dem Fall“, erklärt er vor den Kameras der lokalen Fernsehanstalten.
„Tödlichstes“ aus Philadelphia
Die „Stadt der brüderlichen Liebe“, wie Philadelphia genannt wird, war bislang nur an Besucher gewöhnt, die sich für die Freiheitsglocke und die Independence Hall interessieren, wo einst die Unabhängigkeitserklärung angenommen und die amerikanische Verfassung formuliert wurde. Nun plötzlich steht das Rathaus, in dem sich auch das Gericht befindet, im Mittelpunkt des Interesses von holländischen und französischen Fernsehteams, deutschen und japanischen Prozeßbeobachtern, Demonstranten aus New York und Washington. In den Lokalzeitungen tauchen plötzlich Namen wie Jacques Derrida, Claude Lanzmann und Pierre Bourdieu auf, die sich nach Auffassung von Ed Rendell höchst unqualifiziert über das amerikanische Strafjustizsystem äußern.
Nun ist der Einfluß französischer Intellektueller auf die Lokalprominenz von Philadelphia eher gering, doch die Sammelaktion der schottischen Feuerwehrgewerkschaft hat sie tief getroffen. „Wissen die eigentlich, was sie da tun“, empört sich ein Sprecher der Philadelphia Firefighters Union. „Das ist doch wahnsinnig, für einen Polizistenmörder Geld zu sammeln.“ Einen Tag später wirft der Philadelphia Inquirer der internationalen Solidaritätsbewegung für Jamal vor, „Personenkult“ zu betreiben. Erst im vorletzten Absatz erklärt der Kommentator beiläufig, daß er für die Abschaffung der Todesstrafe ist, weil sie „immer grundsätzliche Fragen der Fairneß“ aufwerfe.
Was er nicht schreibt, ist, daß Philadelphia bei der Anwendung der Todesstrafe nicht nur die „tödlichsten“ Staatsanwälte, sondern auch eines der willkürlichsten Gerichtssysteme hervorgebracht hat. Seit Mitte der siebziger Jahre werden Mordprozesse dort unter dem Vorsitz von Richtern durchgeführt, die keine anderen Delikte mehr verhandeln. Auf Betreiben der Bezirksstaatsanwaltschaft wurden als milde geltende Richter aus dieser Gruppe ausgeschlossen und durch Hardliner ersetzt, darunter Albert F. Sabo, der mit 31 Todesurteilen, die unter seinem Vorsitz verhängt wurden, den nationalen Rekord hält. Sabo war bei Anklägern geschätzt für seine Tips, Belastungsmaterial zu „verdichten“ und „nachsichtige“ Kandidaten von der Jury auszuschließen. Er war bei Verteidigern gefürchtet, weil er routinemäßig Geld für Forensik- oder Ballistikexperten ablehnte. Was die Geschworenen in Richter Sabos Saal zu sehen bekamen, waren fast ausschließlich Beweismittel der Staatsanwaltschaft. Im Fall Mumia Abu-Jamals verhielt es sich nicht anders.
Richter Sabo, der „kleine Diktator“
Heute ist der Ehrenwerte Albert Sabo in seinem achten Lebensjahrzehnt und eigentlich in Pension. Doch das Strafjustizsystem erlaubt ihm, auf den Richterstuhl zurückzukehren, wann immer „seine“ Verurteilten wieder in seinem Gerichtssaal auftauchen. Ausländische Prozeßbeobachter reagieren meist verblüfft bis konsterniert, daß Richter der ersten Instanz in Todesstrafenprozessen über Berufungs- und Revisionsverfahren entscheiden dürfen. Doch dies ist keine Besonderheit des Bundesstaates Pennsylvania, sondern übliche Praxis in allen 38 Einzelstaaten, in denen die Todesstrafe existiert. Vor dem Ehrenwerten Albert Sabo haben die Anwälte nun den Antrag auf ein neues Verfahren gestellt, weil ihr Mandant vor 13 Jahren auf der Basis manipulier
Fortsetzung nächste Seite
Fortsetzung
ter Zeugenaussagen, unterdrückter Beweismittel, unzulänglichen Rechtsbeistands und unzulässiger Ausführungen des Anklägers über die politische Vergangenheit Jamals als Mitglied der „Black Panther“ verurteilt worden sei.
Der Ehrenwerte Albert F. Sabo macht keinen Hehl daraus, daß er an den Ausführungen der Verteidigung nicht interessiert ist. Wenn er hinter seinem Richtertisch hoch über den Köpfen der anderen Anwesenden Platz genommen hat, dann ragen über die Tischkante nur noch das schlohweiße, korrekt gescheitelte Haar, die Brille und der Mund, den er meist zu einem schiefen Strich verzieht. Bei jedem Gähnen bietet sich den Anwesenden in Saal 253 der Anblick eines recht locker sitzenden Gebisses. Einsprüche von Staatsanwalt Grant beantwortet Sabo ausnahmslos mit einem schläfrigen „stattgegeben“. Bei Einsprüchen der Verteidigung reagiert er lebhafter, aber ebenso berechenbar: „Abgelehnt. Ist mir völlig egal, worum es ging.“ Als Rachel Wolkenstein, Mitglied des Anwaltsteams Jamals, wenig später zu lange auf einer Begründung des Richters für die Ablehnung eines Zeugen insistiert, läßt er sie in Handschellen aus dem Saal führen. Nach einem dreißigminütigen Aufenthalt in der Zelle des Gerichtsgebäudes darf sie wieder am Verteidigertisch Platz nehmen – nachdem sie sich für „respektloses Benehmen“ entschuldigen mußte.
Doch wenige Tage später nimmt der „kleine Diktator“, wie Jamal-Anwalt Steven Hawkins Richter Sabo nennt, die Grenzen seiner Allmacht zur Kenntnis und setzt den Hinrichtungsbefehl gegen Mumia Abu-Jamal, datiert für den 17. August, aus. Damit ist zumindest gewährleistet, daß Jamal noch am Leben ist, wenn Sabo über den Antrag auf ein neues Verfahren entscheidet. Das ist nicht so selbstverständlich, wie man meinen möchte. Im Mai 1992 war im US-Bundesstaat Virginia Roger Keith Coleman exekutiert worden, obwohl seine Anwälte Indizien und Zeugenaussagen für seine Unschuld gesammelt und einen Antrag auf Beweismittelanhörung gestellt hatten. Der Antrag wurde ebenso abgelehnt wie ein Aufschub der Exekution. Die Anwälte hatten die Antragsfrist um einen Tag überschritten.
„Eine Travestie der Justiz“
Auch die Bundesgerichte, die oft mit liberaleren Richtern besetzt sind, weigerten sich, die Hinrichtung zu stoppen. Dies deckt sich mit einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes der USA aus dem Jahr 1983, wonach ein Exekutionsaufschub selbst dann nicht gewährt werden muß, wenn der Verurteilte glaubhaft die Verletzung seiner Verfassungsrechte geltend machen kann (Barefoot v. Estelle). Der inzwischen verstorbene Verfassungsrichter Thurgood Marshall stimmte gegen die Entscheidung. „Eine Travestie der Justiz“, schrieb er in seiner Begründung.
Mumia Abu-Jamal ist in den 13 Jahren Haft im Todestrakt selbst zu einem versierten Kommentator juristischer Entscheidungen geworden. Seine Analyse der höchstrichterlichen Entscheidung im Fall McCleskey v. Kemp wurde im Januar 1991 im Yale Law Journal abgedruckt. Der Kläger, ein schwarzer Todestraktinsasse aus dem US- Bundesstaat Georgia, hatte vor dem höchsten Gericht der USA geltend gemacht, daß die rassistische Anwendung der Todesstrafe gegen die Verfassung verstoße. Die Klage wurde untermauert durch eine umfangreiche Studie, wonach ein Todesurteil sehr viel wahrscheinlicher ist, wenn es sich bei dem Opfer um einen Weißen handelte. Das Gericht räumte ein, daß die „Diskrepanz bei der Verhängung von Todesurteilen offenbar mit der Hautfarbe“ zu tun habe, erklärte dies aber zu „einem unvermeidbaren Bestandteil unseres Strafjustizsystems“. Rechtlich relevant werde dies erst, wenn der Todeskandidat der Staatsanwaltschaft, dem Richter und den Geschworenen „vorsätzliche Diskriminierung“ nachweisen könne. „Was hier passiert“, schrieb Jamal im Yale Law Review, „ist die Herabsetzung des Wertes von schwarzem Leben und die Markierung von weißem Leben als das wertvollere.“ Warren McCleskey, dessen Name auf diese Weise in die Annalen der amerikanischen Rechtsgeschichte einging, wurde am 25. September 1991 exekutiert.
Die Nachricht des Hinrichtungsaufschubs ruft – wie alles andere – im Gerichtssaal 253 extrem gegensätzliche Reaktionen hervor. Die rechte Seite verleiht ihrer Freude ungebremst Ausdruck. Die linke erstarrt – wie vom Blitz getroffen. Hier sitzen ehemalige Kollegen Faulkners, Angehörige der Fraternal Order of Police, einer Polizeigewerkschaft, die man mit viel Sinn für Untertreibung als konservativ bezeichnen kann. Hier sitzt Maureen Faulkner, eine zierliche blonde Frau, die Witwe des Ermordeten.
Seit der Nacht, als Polizisten ihr die Nachricht vom Tod ihres Mannes überbrachten, verfolgt sie das Schicksal Mumia Abu-Jamals, den sie ohne den leisesten Zweifel für den Mörder Daniel Faulkners hält. Zusammen mit der Fraternal Order of Police hat sie gegen die Veröffentlichung von Jamals Buch „Live from Death Row“ mobilisiert und zu Boykottaktionen gegen den Verlag aufgerufen. Sie war aus Kalifornien nach Philadelphia zurückgekehrt in der Hoffnung, am 17. August „endlich meinen Frieden zu finden“ – bei der Vollstreckung des Todesurteils gegen Mumia Abu-Jamal, der sie beiwohnen will. „Ich will, daß Jamal ebenso zum Schweigen gebracht wird, wie mein Mann vor 14 Jahren zum Schweigen gebracht wurde“, erklärt sie am Tag, als Richter Sabo die Exekution aufschiebt. Es ist das erste Mal, daß sie überhaupt mit der Presse redet.
Humaner töten mit Potassiumchlorid
Im Gegensatz zum „death belt“, wie Strafverteidiger die Südstaaten nennen, hat die Exekutionswelle in Pennsylvania noch nicht begonnen. Hier wurde die Todesstrafe erst 1978 wieder eingeführt – zwei Jahre nachdem der Oberste Gerichtshof ein neues Verfahren bei der Verhängung von Todesurteilen, das Schuldspruch und Strafzumessung in zwei getrennte Anhörungen teilt, für verfassungskonform erklärt hatte. Darüber hinaus sind die Mühlen der Justiz in Pennsylvania für ihre Langsamkeit berüchtigt. Am 2. Mai diesen Jahres wurde in Pennsylvania zum ersten Mal seit 1967 wieder ein Todesurteil vollstreckt, als ohne hörbare Proteste Keith Zettelmoyer exekutiert wurde. Am 15. August soll Leon Jerome Moser hingerichtet werden, ein Weißer, der wegen Mordes an seiner Ex-Frau und seinen beiden Kindern zum Tode verurteilt worden ist. Moser sitzt seit neun Jahren im Todestrakt und hat alle Berufungsmöglichkeiten verworfen. In der offiziellen Statistik wird seine Exekution unter der Rubrik „consensual“ oder „volunteer execution“ vermerkt werden.
Wie in vielen anderen Bundesstaaten hat man auch in Pennsylvania den elektrischen Stuhl als Hinrichtungsmethode ausgemustert und durch die tödliche Injektion ersetzt. Dem Verurteilten wird zuerst Sodium Thopental, ein Schlafmittel, injiziert. Eine zweite Injektion, eine Bromverbindung, lähmt die Muskeln. Eine dritte Lösung, Potassiumchlorid, bringt das Herz zum Stillstand. „Ich kann mir keine humanere Methode der Exekution vorstellen“, erklärte unlängst der Sprecher des texanischen Strafvollzugssystems.
Im Bundesstaat Illinois hat nun eine Gruppe von Ärzten gegen diese „humane“ Hinrichtungsform und die Präsenz von Medizinern bei Exekutionen geklagt. „Einer ganz schlimmen Tat“, heißt es in ihrer Klagebegründung, „soll hier der Schein medizinischer Respektierlichkeit verliehen werden.“ Doch die Hygienisierung der Todesstrafe verfehlt ihre Wirkung nicht. Als der amerikanische Fernsehjournalist Ted Koppel unlängst eine Exekution durch Injektion beobachtete, war er danach vor der Kamera eher durch den Umstand irritiert, daß er keinen Schock verspürte. Kein Todeskampf gegen 2.000 Volt, bei dem die Augäpfel herausspringen, der Sterbende Blut erbricht, sich Blase und Darm in die riesigen Windeln entleeren, die ihm vor dem letzten Gang angelegt worden sind. Kein Geruch von verbranntem Fleisch. „Für die Zeugen ist das langweilig“, bemerkte lakonisch der Anstaltsleiter des Todestrakts in Louisiana.
Für Mumia Abu-Jamal ist der letzte Gang vorerst aufgeschoben. Nach der Anhörung vor Richter Sabo, die aller Voraussicht nach mit der Ablehnung des Antrags auf ein neues Verfahren enden wird, stehen ihm weitere Jahre im Todestrakt bevor, in denen sein Fall durch die Instanzen der Bundesgerichtsbarkeit gewälzt wird. „Ich befinde mich“, sagt er am Tag des Aufschubs, „weiterhin in der Hölle.“ Dann bedankt er sich bei den „Tausenden und Zehntausenden von Menschen, die für mich kämpfen. In einem neuen Verfahren werde ich meine Unschuld beweisen. Ich bedauere den Schmerz und die Qualen, die Maureen Faulkner erlitten hat. Aber ich habe ihren Mann nicht umgebracht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen