■ H.G. Hollein: Was wahr ist
Die Frau, mit der ich lebe, fühlt sich schlecht behandelt. Von mir. So, wie ich sie allwöchentlich schildere, sei sie gar nicht. Dem könnte ich entgegenhalten, dass bisher noch alle ihrer Freunde und Kollegen abstrichlos geglaubt haben, was hier dokumentiert wird. Das sage ich aber wohlweislich nicht. Ich verweise lieber taktvoll darauf, es sei eben der Preis des Ruhmes, dass sich eine Figur der Weltliteratur nicht immer aussuchen könne, wie sie wahrgenommen wird. Auch um die Kameliendame, Shakespeares Dark Lady oder Faustens Gretchen sei schließlich im Laufe der Jahrhunderte ein Gespinst von Mythen und Legenden entstanden. „Drauf geschissen!“ pflegt die Gefährtin meine derart feinsinnig angetragene Verehrung abzuschmettern. Sie sei es jedenfalls leid, jeden Montag auf ihrer Arbeitsstätte von einem kichernden Chor empfangen oder auf Partys mit den Worten vorgestellt zu werden: „Das ist die Frau, mit der er lebt.“ Ich finde viel eher, die Gefährtin sollte ihren lokalen Ruhm gewinnbringend vermarkten lassen. Mutter Beimer und ihres- gleichen weihen gegen eine geringfügige Aufwandsentschädigung doch schließlich auch den einen oder anderen Supermarkt ein. Da ist noch Luft drin, und ich wäre auch bereit, die Gefährtin in einer – noch zu gründenden – Ein-Frau-Promi-Agentur ganz groß rauszubringen. Vom Merchandising ganz zu schweigen. Was die Teletubbies abwerfen bringt die Gefährtin schließlich allemal. Aber ich fürchte, das werden Träume bleiben. Ich muss vielmehr Acht geben, dass sich mein Geschöpf nicht gegen seinen Erzeuger wendet. Sehe ich mich bisweilen doch einem Druck ausgesetzt, der Züge einer totalitären Zensur annimmt. Aber ich gebe nicht auf. Da es mir nun einmal aufgegeben ist, von der Wahrheit Zeugnis abzulegen, werde ich nicht schweigen, nur weil die Gefährtin mich bisweilen haut.
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