piwik no script img

Ein kleines Nichts

Das letzte Elementarteilchen fehlte noch. Jetzt haben Physiker seine Spuren im Labor gesichtet

Das Tau-Neutrino ist ein kleines Ding. Sehr klein. Punktförmig. Nicht punktförmig wie der Punkt am Ende dieses Satzes. Sondern punktförmig im übertragenen Sinne. Ohne Ausdehnung. Ein klitzekleines Nichts. Doch Physiker waren ihm schon lange auf der Spur: dem letzten fehlenden Baustein der Materie.

Die Physiker nennen es zwar „Teilchen“. Aber das darf man nicht zu genau nehmen. Sagen wir lieber, es benimmt sich oft wie ein Teilchen.

Das Tau-Neutrino ist äußerst leicht. Vielleicht hat es gar kein Gewicht. Da rätselt man noch. Sollte es eines haben, könnte das Universum zusammenstürzen – aber erst in Jahrmilliarden.

Das Tau-Neutrino ist unsichtbar. Nicht weil es so klein ist. Sondern weil es mit nichts so richtig in Wechselwirkung tritt. Während Sie diesen Satz lesen, fliegen Milliarden von Neutrinos unbeeindruckt durch Ihren Körper. Ohne Spuren, einfach so.

Das ist schon fast alles, was wir bisher wussten. Gestern konnten Physiker aus den USA, Griechenland, Japan und Südkorea vom Fermilab bei Chicago erstmals stolz verkünden, einTau-Neutrino beobachtet zu haben. Na ja, sagen wir: seine Spuren.

Wenn wir zum Beispiel einen Text lesen, dann sehen wir in Wirklichkeit Lichtteilchen, die vom weißen Papier reflektiert werden und auf unser Auge fallen. Die schwarzen Flecken dazwischen identifiziert unser Hirn als Text.

Aber immerhin, wir sehen eine direkte Abbildung des Textes in unserem Auge. Was die Physiker vom Neutrino beobachten können, sind dagegen nur die Spuren seiner Vernichtung. Wenn es auf einen Atomkern knallt, dann kann es sich unter Umständen – äußerst selten – in einem winzigen Inferno umwandeln in andere Teilchen, unter anderem ein Tau-Teilchen. Die Bewegung dieses Tau-Teilchens kann man nun mit Hilfe einer Emulsion (ähnlich wie auf einem Fotonegativ) aufzeichnen als einen Strich von einem Millimeter Länge. Die Emulsion kann man sich freilich nicht einfach ansehen wie einen Film; sie wird in Computern ausgewertet.

Um im Bild zu bleiben: Gesehen haben die Physiker also nicht ein beschriebenes Blatt, sondern das Feuer, als das Blatt verbrannte. Aber immerhin.

Nun ist es also entdeckt, das letzte der zwölf Elementarteilchen. Aber sind es wirklich die Bausteine der Materie? Viele meinen, dass sie wiederum aus kleinen schwingenden Saiten, „Super-Strings“, bestehen.

Seien wir ehrlich: Das Neutrino ist mehr eine Idee als ein Ding. Aber man kann mit dieser Idee eine Menge erklären. Nur leider entzieht sich das unserer Anschauung. MATTHIAS URBACH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen