: Sentimentale Reise ins WeißblaueBio & Leben
Zwei Wochen lang besuchte Christian Semler den Freistaat Bayern, um sich seine Vorurteile bestätigen zu lassen. Das gelang nur teilweise. Der Berliner aus dem Prenzlauer Berg sprach mit Staatsdienern und Staatsfeinden, Modernisten und Traditionswahrern. Vier von ihnen, drei Altbayern und ein Nordlicht, hat er portraitiert
von CHRISTIAN SEMLER
Wer an das Personal der Biotech-Risikoökonomie denkt, also an Investoren, Manager, Forscher, die sich im Gründungszentrum von Martinsried bei München drängen, der hat das Bild der allseits reduzierten Persönlichkeit vor Augen. Familienleben, Freunde, alles richtet sich nach dem Terminplan, und der richtet sich nach der Arbeitswut. Ferien, Amüsement – das ist was für Loser, wenn man den Nachrichten aus der Branche glauben darf.
Die Molekularbiologin Sonja Offner bildet die lebendige Widerlegung dieses Stereotyps. Eben will sie an einem Bladeroller-Vergnügen teilnehmen, das auf dem hierfür hervorragend geeigneten Münchner Königsplatz angesagt ist. Fällt aber aus wegen Dauerregen. Morgen geht’s mit dem Betriebsausflug zum Achensee hinauf und danach in die Ferien.
Soziale Isolierung im Getto? Sonja Offner wohnt nicht in Martinsried, dieses traurige Schicksal ist nur ausländischen Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts bestimmt. Sie zählt nicht nur Molekularbiologen zu ihrem Bekanntenkreis, selbst ein Vertreter der wissenschaftlich minderwertigen Historikerzunft verkehrt bei ihr. Sie frönt, ein beliebtes Laster unter Naturwissenschaftlern, dem Flötenspiel im Quartett. Tritt damit sogar auf.
Sonja Offner ist, um den Lieblingsausdruck Guido Westerwelles zu gebrauchen, eine putzmuntere Person, neugierig, offen, bayerisch-direkt. Dabei verfügt sie, kaum dreißig, über geradezu Furcht erregende wissenschaftliche Qualifikationen: diplomierte und promovierte Biologin, Grundlagenforschung am Max-Planck-Institut, danach am Münchner Institut für Immunologie, von dem sie nach Martinsried wechselte.
Die gebürtige Penzbergerin, die artig nachfragt, ob sie sich des Bairischen bedienen darf (sie darf), wollte nie etwas anderes als Forscherin werden. „Ich wollte immer schon wissen, wie alles Lebendige zusammenhängt. Als Kind hatte ich natürlich keine Ahnung, dass ich mit diesem Bedürfnis bei der Molekularbiologie landen würde.“
Auch jetzt will sie etwas herausfinden, „was von unmittelbar praktischem Nutzen ist“. Sie entwickelt ein Medikament, von dem sie hofft, dass es künftig bei Brust- und Prostatakrebs helfen kann. Manche Krebspatienten haben nach der ersten Krebsoperation noch Tumorzellen im Körper. Es geht darum, das Immunsystem durch das Medikament so zu stärken, dass diese Tumorzellen erledigt werden.
Die Methode hat ihr Professor, der Gründer von Micromet, entwickelt. Jetzt geht es bei ihrer Arbeit darum, dass die Antikörper an der richtigen Stelle der Moleküle andocken. So viel, mit mitleidigem Lächeln, für den Journalistenlaien. „Das Schöne an meiner Forschung ist“, so Sonja Offner, „dass ich mit meinen Assistentinnen ganz selbstständig werkeln kann.“
Sie tauscht sich mit den Kollegen aus im Arbeitskreis der Firma, hält Kontakt zu den Münchner Immunologen, als „Shuttle“ zwischen Universitäts- und Firmenbetrieb.
Geld? Auf alle Fälle mehr als im öffentlichen Forschungsbetrieb, Genaueres ist wie üblich Firmengeheimnis. Immerhin wird Sonja Offner, so sie etwas findet, am Patent beteiligt. Ruhm und Ehre? Wart ma mal, noch ist es nicht so weit.
Gerade ist Erwin Chargaff, der große Molekularbiologe und gleichzeitig Verächter der Big Science und deren kommerzieller Verwertung, 95 Jahre alt geworden. Ob Sonja Offner die Kritik des Alten teilt, dass ihre Wissenschaft unter dem Fluch der Verwertbarkeit steht. Dass, ohne Rücksicht auf die Folgen, „alles gemacht werden muss, was gemacht werden kann, und alles verwendet werden muss, was gemacht worden ist“? Sonja Offner zuckt mit den Achseln. „Das ist doch so allgemein wie die Bibel.“
„Wenn es möglich ist“, sagt sie, „Krankheiten genetisch genau zu lokalisieren [und das ist zurzeit nur bei wenigen Krankheiten der Fall], liegt es beim Staat, den praktischen Umgang mit diesen Erkenntnissen zu regeln. Ein Verbot solcher Forschungen halte ich für falsch und sinnlos.“
Und sie sagt: „Der Verlust an Erkenntnis wäre zu groß. Außerdem: Niemand kann der zukünftigen Mutter die Entscheidung darüber abnehmen, ob sie bei ihrem zukünftigen Kind das Risiko einer vererbten schweren Krankheit in Kauf nehmen will oder nicht. Ich selbst möchte gar nicht wissen, wie mein Genom aussieht.“
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