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Zen und die Kunst zu köchern

Unschlagbar präsentieren sich Südkoreas Bogenschützinnen. Die Gegner verzweifeln an 17-jährigen Konzentrationswundern

aus Sydney MATTI LIESKE

Am Ende der Pressekonferenz nach dem Finale im Team-Wettbewerb der Bogenschützinnen gab es noch eine besonders knifflige Frage an die Silbermedaillengewinnerinnen aus der Ukraine: Was man denn tun könne, um die Koreanerinnen in Zukunft vielleicht mal zu schlagen. Da wurden selbst Yun Mi-Jin, Kim Nam-Soon und die erfahrene Kim Soo-Nyung, die schon 1988 in Seoul und 1992 in Barcelona insgesamt drei Goldmedaillen geholt hatte, sehr neugierig. Interessiert schauten sie hinüber, doch aus der ukrainischen Ecke kam lange Zeit gar nichts. „Es weiter probieren“, war schließlich ein lahmer Vorschlag und: „Vielleicht sollten diese Frage besser die Koreanerinnen beantworten.“ Die aber lachten nur.

Was die NBA-Cracks im Basketball, sind die Koreanerinnen im Bogenschießen: Unschlagbar. Das musste einmal mehr auch das deutsche Team erfahren, das schon im Finale von Atlanta 1996 gegen die Asiatinnen unterlegen war und diesmal das Pech hatte, schon im Halbfinale auf sie zu treffen. „Da ist nichts zu machen“, sagte Sandra Sachse nach der 238:251-Niederlage, „die haben im Viertelfinale olympischen Rekord mit 252 geschossen, gegen uns 251. Der deutsche Rekord steht bei 245.“ Im Finale machten die Südkoreanerinnen beim 251:239 gegen die Ukraine den Weltrekord von 502 Punkten für die Finalrunde perfekt, zwei Tage vorher hatten sie bereits alle Einzel-Medaillen abgeräumt.

„Der Kampf gegen den eigenen Körper und gegen die eigene Seele“, hat die Gelsenkirchenerin Barbara Mensing auf die Frage geanwortet, was sie am Bogenschießen fasziniere. Doch besonders die Seele ist es, die auf höchstem Niveau den Ausschlag gibt. Wer sich nur eine winzige Unkonzentriertheit leistet und einen Pfeil ein bisschen zu weit von der Mitte der 90 Meter entfernten Scheibe platziert, hat schon verloren. Bogenschießen sei die zweitschwierigste Sportart nach Golf, das habe eine amerikanische Studie ergeben, erklärt Sandra Sachse und wirft einen Blick auf ihr kompliziert ausbalanciertes Sportgerät. „Die kleinste falsche Bewegung, und schon hast du eine Fünf.“

Bei den Koreanerinnen, die im Halbfinale gegen Deutschland bei 27 Pfeilen stolze 14 Mal die Zehn trafen, liegt der Maßstab ein wenig höher. „Ich hatte ein paar Schwächen, aber die anderen haben mir rausgeholfen“, meinte selbstkritisch Kim Nam-Soon. Schwächen bedeutete, dass sie sich im Finale zwei Achten erlaubt hatte. Nach koreanischen Maßstäben ungefähr so, als ob andere ein paar Meter an der Scheibe vorbei schießen. Die ungeheure mentale Stärke ist nach allgemeiner Einschätzung der Hauptgrund für die Überlegenheit des Teams aus Asien. „Sie sind besser vorbereitet auf diesen Tunnel: Ich und die Scheibe“, meint Sandra Sachse. Als Vollprofis könnten die Koreanerinnen zweimal täglich trainieren, davon sei eine Einheit reines autogenes Training. Sie selbst habe zu so etwas einfach nicht die Zeit. „Wenn ich zu viel mental mache, geht das zu Lasten der Technik.“ Auch für Jim Easton, den US-amerikanischen Präsidenten des Weltverbandes, ist es die „zen-artige Konzentration“, welche die Koreanerinnen auszeichne. „Den Körper kannst du trainieren und trainieren, aber es ist der Geist, der den Unterschied macht zwischen guten Wettkämpfern und Weltklasse-Wettkämpfern.“

Zu Letzteren darf sich mit Fug und Recht auch das deutsche Team zählen, das sich gestern im Match um den dritten Platz gegen die Türkei durchsetzte. Für die 40-jährige Barbara Mensing eine Bronzemedaille, die sie sogar höher einstuft als das Silber, das sie mit Sandra Sachse und Cornelia Pfohl in Atlanta gewann. Das sei völlig überraschend gekommen, diesmal hätten sie viel mehr unter Druck gestanden, vor allem nach dem enttäuschenden Abschneiden im Einzel. „Ich schieße gern Team“, sagt Sandra Sachse, „und häufig besser.“ Da man dort auch für die anderen Verantwortung trage, konzentriere man sich noch mehr, sagt die 31-Jährige.

In Zukunft wird es das Erfolgstrio Sachse, Mensing und Pfohl allerdings nicht mehr geben. Zumindest Sandra Sachse beendet ihre internationale Karriere und macht dem Nachwuchs Platz. Ein Prozess, der auch bei den Koreanerinnen eingesetzt hat, die mit der 17-jährigen Yun Mi-Yin, Siegerin im Einzel und mit dem Team, einen neuen Superstar präsentierten. „Wir haben hervorragende junge Schützinnen“, sagt Altmeisterin Kim Soo--Nyung, die beim ersten ihrer vier Olympiasiege vor zwölf Jahren ebenfalls 17 war, „ich bin sicher, dass sie in Zukunft mehr als vier Goldmedaillen gewinnen werden“. Von ukrainischer Seite kam kein Widerspruch.

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