familiensport:
von REINHARD KRAUSE
Unsere Stiefmutter hielt sich beim Frühstück die Seiten vor Lachen, sie musste sich sogar eine Träne wegwischen, so sehr amüsierte sie noch immer die Erinnerung. Spät nachts erst war sie von der Hochzeit einer rheinischen Cousine zurückgekommen – eine regelrechte Großveranstaltung, auf der sie auch ihre vier Geschwister wieder einmal getroffen hatte. Natürlich war es auf der Feier hoch hergegangen – wehe, wenn die Kölner einmal losgelassen. Diesmal allerdings war alles ein bisschen anders gewesen als sonst ...
Onkel Hannes hatte den Anfang gemacht. Kaum war das Kuchenbüffet eröffnet – meine Stiefmutter konnte es inzwischen fast ohne zu lachen erzählen –, kaum also war das Kuchenbüffet eröffnet, hatte sich ihr Bruder einen gewaltigen Kuchenberg einverleibt und mit seinem Teller gleich die zweite Angriffswelle gestartet. Dass einige Gäste zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt keinen Kuchen abbekommen hatten, war nun weiß Gott nicht seine Schuld. Spitze Bemerkungen kamen auch erst auf, als er ein ordentlich großes Tuppergefäß aus seiner Aktentasche hervorkramte und damit begann, weitere erbeutete Tortenstücke darin zu versenken. „Wieso?“, verteidigte er sich. „Dat is für dat Anneliese. Wenn dat Anneliese nit krank wör, hätt dat ja och Kuchen jejessen.“
Das böse Gezischel brachte er damit nicht zum Verstummen – dafür sorgte erst eine seiner Nichten. „Kinder, lasst doch gut sein“, rief sie den Missgünstigen zu. „Onkel Hannes machts wenigstens nicht heimlich. Eben erst habe ich in der Küche gesehen, wie sich meine Mutter einen ganzen Rollbraten in die Tasche gestopft hat.“ Nun kam doch wieder fröhliche Stimmung auf. Leeve un leeve losse!
Das Fest ging beschwingt weiter. Onkel Hartmut, ein anderer Bruder unserer Stiefmutter, holte irgendwann sein Schifferklavier heraus und orgelte einen Karnevalsschlager nach dem anderen. Viele Stunden später ging die Feier feuchtfröhlich zu Ende. Und da passierte es: Onkel Hartmut verabschiedete sich gerade mit raumgreifenden Gesten, da öffnete sich der Koffer seines Akkordeons und ein gewaltiger Schwung Würste platschte ins Treppenhaus. Dabei hatte er alles so klug eingefädelt: Das Instrument selbst hatte er schon eine halbe Stunde vorher ins Auto gebracht.
„Aber das Beste wisst ihr noch gar nicht“, juchzte unsere Stiefmutter. „In dem ganzen Tohuwabohu um die Würste ist es gar keinem aufgefallen, dass Tante Sonja sich mit einem schönen großen Blumengesteck aus dem Staub gemacht hat. Huhuhu!“ Das war die Vierte im Bunde.
„Nein, nein“, tupfte sich unsere Stiefmutter über all den spaßigen Erinnerungen die letzten Lachtränen fort, „mir war das so was von peinlich. Zu so einer Familie zu gehören! Wirklich, ich habe mich richtig geschämt!“ Verstehen konnten wir sie ja. Ein Glück, dass unser Vater mit ihr so einen guten Fang gemacht hatte. Allein diese lustigen Geschichten – un-be-zahl-bar! Da wussten wir allerdings noch nicht, dass sie unseren Vater längst dazu gebracht hatte, uns zu enterben.
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