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herzlos in seattle

von SUSANNE FISCHER

Herzlich Willkommen, meine Damen und Herren, und werfen Sie mal einen Blick durch mein Zeitfenster! Na, was sehen Sie da? Die schöne neue Welt, richtig. Früher sagte man ja: Komm am besten so um drei. Heute heißt es: Für Ihr Erscheinen ist ein Zeitfenster von 15 Uhr bis 15 Uhr 15 geöffnet. Ob die Leute deswegen pünktlicher werden, konnte mir noch keiner sagen. Auf jeden Fall drücken sie sich aber alberner aus als früher.

Wahrscheinlich ist daran Bill Gates schuld. Bill Gates ist sowieso an allem schuld, aber an der Leidenschaft, alles in Fenster umzuwandeln, am allermeisten. Bill Gates lebt in einem Palast im US-Bundesstaat Washington und guckt durch ein Panorama-Zeitfenster auf einen See. Nein, das ist nicht der See, an dem „Schlaflos in Seattle“ gedreht wurde. Microsoft residiert zwar in Seattle, aber Bill Gates wird den Teufel tun, an so einem popligen See zu wohnen, wo ein Yachthafen an den nächsten grenzt und es kein bisschen mondän aussieht. Ich weiß es, ich war da. Und schlaflos war ich auch. An meinem Hotel fuhren abwechselnd Autobusse und Lastwagen vorbei. Es war ein billiges Hotel, und statt eines Zeitfensters war die ganze Nacht ein Lärmfenster geöffnet, selbst wenn man das Fenster zumachte.

Am Tage konnte man dann auf die Space Needle fahren. Das ist ein niedlicher kleiner Turm, der furchtbar wackelt und von dem aus man bei gutem Wetter bis zum Schlaflos-in-Seattle-See gucken kann, aber nicht ohne Touristenführerin. Meine Touristenführerin erklärte, wenn wir nicht gleich über ihre Witze lachen würden, wolle sie sich über die Brüstung stürzen. Als daraufhin alle sie ernst und stumm anstarrten, ließ sie es doch lieber bleiben. So ist die Amerikanerin: lustig, aber inkonsequent. Sie tat dann so, als ob wir an allem schuld sein, obwohl doch erwiesenermaßen Bill Gates mit diesem Lebensmakel herumlaufen muss.

Der ehemalige Kompagnon von Bill Gates hat gleich unter der Space Needle das Experience Music Project gegründet, eine Rockmusikmuseum, für das man erst einen Computerführerschein machen muss, aber dafür hat man dann auch ziemlich viel Spaß mit all dem Anklicken und Downloaden und Anhören und Weghören. Man kann aber zum Beispiel auch ganz konventionell Jimi Hendrixens Samthosen gucken (ohne klicken). Die sind viel kleiner als Elvis seine in Graceland. Das muss man sich mal vorstellen. Eine Hose, die Jimi Hendrix angehabt hat! Die kann sich so ein Computerheini kaufen und dann ausstellen! Wahrscheinlich hat Bill Gates, der ja noch viel reicher ist, eine ganze Hosensammlung hinter seinem Zeitfenster weggeschlossen. Aber auch Bill Gates wird sich eines Tages über eine Brüstung stürzen wollen, weil niemand über seine Witze lacht, und dann werden wir im Museum vielleicht Bill Gates’ Hosen angucken können, falls wir das wollen, was ich hier ein für alle Mal bezweifeln möchte. Obwohl: Vielleicht sind seine Hosen computergesteuert und toll interessant, kann ja sein. Wenn man sie anklickt, laufen sie von alleine. Auf die nächste Brüstung zu.

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