: Punkte sind das täglich Brot
Das 2:1 im Pokal-Viertelfinale gegen den SC Freiburg befreit die Führungsspitze des VfB Stuttgart nicht von der Notwendigkeit, endlich eine Entscheidung in der Trainerfrage zu treffen
aus Stuttgart THILO KNOTT
Dem kurzen Jubel folgte schnell die Nüchternheit. Ein wenig Umarmung und Abklatschen, ein kleines Dankeschön an die Fans – soweit zum Thema Auskosten eines Triumphes. 2:1 nach Verlängerung besiegte der VfB Stuttgart den SC Freiburg, wohl gemerkt im Viertelfinale des DFB-Pokals. Doch alle redeten über Punkte, obwohl es um die gemeinhin nicht geht in diesem Wettbewerb. Torhüter Timo Hildebrand sprach von „ein paar verschenkten Punkten“. Ehrenpräsident Gerhard Mayer-Vorfelder errechnete gleich einen Mangel von „sieben bis acht Punkten“. Und Sportdirektor Karlheinz Förster erklärte: „Wir stehen immer noch auf Platz 17, wir müssen da unten raus.“
Moment mal und Ohren auf: Hallo, Verein für Bewegungsspiele, du hast gerade das Halbfinale im DFB-Pokal erreicht und stehst gerade mal ein Heimspiel gegen Schalke vom Finale entfernt. Von Berlin, verstehst du. Ist das denn nichts?
Nein, nur bedingt. „Wir wollten bis Weihnachten noch in allen drei Wettbewerben vertreten sein, das haben wir geschafft“, erklärt VfB-Trainer Ralf Rangnick zwar. Doch „gepunktet“ haben die Stuttgarter vor allem in jenen zwei Dritteln des vorweihnachtlichen Programms, in denen es nun mal keine Punkte gibt. Im Uefa-Cup steht der Klub im Viertelfinale gegen Celta Vigo – und durch Tore von Krassimir Balakow und Viorel Ganea nun auch im Halbfinale des nationalen Pokals. 36 Spiele hat der VfB schon hinter sich, das normale Quantum einer Saison ohne internationalen Wettbewerb. Und das fordert Tribut in der Liga: 18 Punkte nur in 18 Spielen, Rang 17, Abstiegsgefahr. Förster sagt: „Die Bundesliga, das ist unser tägliches Brot.“ Ein Sahnetörtchen ab und an stillt den Hunger nicht.
Allein das Kriterium Tabellenplatz ziehen die VfB-Verantwortlichen in Betracht, wenn es die Frage zu beantworten gilt, ob Rangnick der richtige ist, um das „tägliche Brot“ zu sichern. Woche um Woche zieht sich dieses dümmliche Stuttgarter Possenspiel um Weiterbeschäftigung und Vertragsverlängerung nun schon hin, das in den nächsten Tagen dem Vernehmen nach ein Ende finden soll. Der einzige, der die Sache klar hat, ist offensichtlich Rangnick selbst: „Wenn es nach mir geht, ja, aber da ist die Entscheidung des Vereins.“
Der Zusatz ist der Haken: Der Verein nämlich führt in dieser Frage einen reichlich dilettantischen Eiertanz auf. Dabei liegt die Alternative auf der Hand: Entweder Haas, Förster und Co. trauen dem Fußballlehrer zu, die Mannschaft aus dem Souterrain der Liga zu manövrieren oder eben nicht. Das Problem der Club-„Führung“: Man muss sich halt entscheiden. Der ehrenamtliche Vereinschef Manfred Haas jedoch erklärt Spieltag um Spieltag mit der Leidenschaft eines Abteilungsleiters beim Einwohnermeldeamt, er wolle sich nicht „an einer öffentlichen Trainer-diskussion beteiligen“. Und wenn selbst der größte Kritiker Balakow sagt, er befürworte keinen Trainerwechsel, dann entgegnet Förster nur lapidar: „Wir lassen uns von solchen Aussagen nicht beeindrucken.“ Fragt sich nur: Von was denn dann?
Einzig Rangnick strahlt in diesen Wochen der Stuttgarter Irrungen und Wirrungen Souveränität aus. „Es wäre sicher gut zu wissen, für die Mannschaft wie für mich, ob ich zum Trainingsauftakt am 4. Januar noch Trainer bin“, sagt er mit einer mächtigen Portion Süffisanz. Um sogleich den Fall Rangnick haarscharf zu analysieren: Der Verein sei „sicherlich an einer mittel- und langfristigen Zusammenarbeit interessiert“. Nur setzt dies eben kurzfristigen Erfolg voraus. Beim schweren Auftakt gegen Bayer Leverkusen, 1. FC Kaiserslautern und Bayern München etwa. „Was passiert, wenn der VfB diese Spiele verliert?“, fragt Rangnick rhetorisch. Und gibt die Antwort: „Der VfB darf nicht absteigen – schon allein wegen der finanziellen Situation.“ Bei 30 Millionen Mark Schulden, kleine Ironie am Rande, müsste der Ex-VfB-Boss und wohl künftige DFB-Chef Mayer-Vorfelder die Lizenz auch für Liga zwo entziehen. Aber genug der Rangnickschen Analyse: Er kann seinem Arbeitgeber nun mal nicht auch noch diese Entscheidung abnehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen