: Eine andere Dimension
Der Pole Adam Malysz gewinnt das dritte Springen der Vierschanzentournee am Innsbrucker Bergisel und übernimmt die Führung in der Gesamtwertung. Martin Schmitt landet nur auf Platz neun
von MATTI LIESKE
Fachleute wie Jens Weißflog oder der Österreicher Toni Innauer waren sich schon vor dem gestrigen Springen in Innsbruck einig: Wenn es mit rechten Dingen zugegangen wäre, hätte eigentlich der Pole Adam Malysz und nicht der Japaner Noriaki Kasai in der Gesamtwertung der Vierschanzentournee führen müssen.
Seit gestern geht es mit rechten Dingen zu. Adam Malysz gewann die Konkurrenz am Bergisel vor dem Finnen Janne Ahonen und übernahm die Führung in der Gesamtwertung mit großem Vorsprung vor Kasai, Ahonen und Martin Schmitt. Schon mit seinem ersten Sprung ließ der Pole keinen Zweifel daran, dass er diesmal auch den Kampfrichtern keine Chance lassen wollte. 111,5 Meter, das waren 15,5 Meter mehr als bei Martin Schmitt, der den ersten Durchgang als Elfter beendete. Noch zwei Meter kürzer sprang Noriaki Kasai. Der Japaner wahrte seine Chance auf den Gesamtsieg mit 111,5 m in der zweiten Runde, Schmitt kam lediglich auf 101,5 m. Gegen Malysz, der auf 118,5 m segelte, hatte jedoch keiner auch nur den Hauch einer Chance.
Selten zuvor hat ein Skispringer die Konkurrenz bei der Tournee so beherrscht wie Adam Malysz in diesem Jahr. Der Pole stellt Schanzenrekorde in Serie auf, beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen flog er unglaubliche 7,5 Meter weiter als der Sieger Kasai. In der Qualifikation von Innsbruck legte er gar 23 Meter zwischen sich und den Japaner. „Eine andere Dimension“, schwärmte Weißflog, und auch Martin Schmitt musste anerkennen: „Wahnsinn, toll, wie der springt!“
Dass der Pole trotz seiner überlegenen Weiten nach zwei Springen bloß auf Rang zwei lag, war der Missgunst der Kampfrichter geschuldet, die seine Sprünge nicht nur nach Ansicht der ehemaligen Cracks Weißflog und Innauer krass unter- und die von Kasai dafür überbewerteten. „Die Kampfrichter kennen ihn noch nicht lange als Spitzenspringer. Pech gehabt“, wies Jens Weißflog auf die verborgene Existenz des Polen in den letzten Jahren hin.
Nachdem er 96 und 97 mit starken Leistungen und drei Weltcup-Erfolgen auf sich aufmerksam gemacht hatte, verschwand Malysz danach erst mal in der Versenkung. Die Saison 98/99 beendete der gelernte Dachdecker auf Rang 46 in der Weltcup-Wertung, in der vorigen Saison brachte er es immerhin schon wieder auf einen vierten Platz beim Weltcupspringen von Iron Mountain. „Psychische Probleme“ waren nach Ansicht des polnischen Nationaltrainers Appolonius Tajner vor allem für die zwischenzeitlich mäßigen Leistungen des größten polnischen Skisprungtalents seit Pjotr Fijas verantwortlich. Der Umkehrschluss liegt nahe, dass die überraschende Steigerung in dieser Saison jener mentalen Stabilität geschuldet ist, die Psychologen der Krakauer Universität unter der Leitung von Professor Jerzy Zoladz seit drei Jahren ins polnische Springerteam einbringen.
Doch nicht nur geistig, auch stilistisch hat Adam Malysz die Nase in dieser Saison vorn. „Vom Sprungtechnischen her“ sei der Pole „derzeit der absolut Stärkste“, sagt Fernsehanalytiker Dieter Thoma, und Bundestrainer Reinhard Heß hatte schon vor Beginn der Vierschanzentournee beobachtet: „Der hat eine ganz stabile Form und ist enorm gefährlich.“ Ähnlich sieht Appolonius Tajner die Entwicklung seines Schanzenjuwels Malysz, der im Beskiden-Örtchen Wisla zu Hause ist: „Er ist gereift, mental inzwischen sehr stark und mit 23 im besten Springer-Alter.“ Der polnische Auswahlcoach ist sicher: „An Adam werden wir noch viel Freude haben.“
Am passendsten fände man es natürlich im Lager der Polen, wenn diese Freude morgen nach dem letzten Tournee-Springen in Bischofshofen erstmals zum Ausbruch kommen könnte.
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