: Die Genkritik als bloßes Anhängsel
Unter dem Label Lebenswissenschaften startet eine „Aufklärungskampagne“ über Genforschung. Von Nebenwirkungen lernt der Bürger am Rande
BERLIN taz ■ Bei Dejan hat sich die Forschungsministerin einen Korb geholt. Der angehende Bauzeichner ist zwar dem Ruf von Edelgard Bulmahn (SPD) in den Berliner Martin-Gropius-Bau zur Eröffnung des „Jahres der Lebenswissenschaften“ gefolgt. Jetzt aber kümmern ihn die Schülervorträge über Genforschung wenig. Der 19-Jährige schwärmt lieber von der „schönen Architektur des Gropius-Baus“ – anstatt sich, wie alle Bürger, über die sagenhaften Möglichkeiten der Genetik zu interessieren.
In Berlin begann Bulmahn vergangenes Wochenende ihre Aufklärungskampagne über die Gentechnik. Doch wo sie außer zu weiteren populärwissenschaftlichen Veranstaltungen hinführt, weiß niemand so ganz genau. Die Forschungsministerin hat eine doppelte Zielsetzung: Die Bevölkerung möge neue gentechnische Forschungsergebnisse „mit der gleichen Begeisterung diskutieren wie die Ergebnisse der Fußballbundesliga“ – einerseits. Andererseits solle das Volk auch die Grenzen der Genetik kennen lernen.
Risikoarme Didaktik
Die wissenschaftskritische Komponente wirkt jedoch auch diesmal wie die „Fahrradbremse am Interkontinentalflugzeug“ (Ulrich Beck). Die Didaktik des Bulmahnschen Volkshochschulkurses „Gentechnik für alle“ kann ein echtes Bewusstsein für die Nebenwirkungen von Präimplantationsdiagnostik oder der Krebsvorsorge per Genchip nur bedingt wachrufen.
Franziska und Andreas etwa, beide 18-jährige Besucher der Schülervorträge, wollten die aus der Gentechnik resultierenden medizinischen Möglichkeiten nur dann zulassen, „wenn es um Krankheiten geht“ oder „wenn es kein Eingriff in die Natur ist“. Diese von jedermann schnell geforderten Schranken haben jedoch nur begrenzten Wert – sie werden der genetischen Kulturrevolution nicht gerecht.
Wer heute aus potenziell „kranken“ Ei- und Samenzellen diejenigen für gesunde Kinder zu selektieren vermag, schafft erst die gesellschaftliche Akzeptanz für Designerbabys aus dem Reagenzglas. Und die Definition dessen, was „natürlich“ ist, verändert sich ohnehin in dem Augenblick, da die Forscher den Bauplan des Menschen offen vor sich liegen haben – und in diesen eingreifen können.
Auch Ulrich Scheller gab sich im Gropius-Bau alle Mühe mit der Genkritik. Doch als der Mann aus dem „Gläsernen Labor“ des Berliner Max-Delbrück-Centrums nach eineinhalb Stunden endlich bei seiner kritischen Folie 29 angelangt war, dösten Andreas, Franziska und ein gutes Hundert SchülerInnen schon ein wenig vor sich hin. Und so wirkte Schellers Appell, auch „die psychischen Folgen der Gentechnologie“ zu berücksichtigen, ein bisschen gewollt. Genau wie Bulmahns gebetsmühlenhafter Wunsch, die Menschen mögen sich kenntnisreich in die Meinungsbildung einschalten, mutete das seltsam unverbindlich an – etwa wie das nie eingelöste Versprechen: „Lass uns da mal drüber reden“, das wir im täglichen Umgang so gern abgeben.
Ein Paradebeispiel, wie unausgewogen sich technisches Wissen und ethische Naivität bei der Gentechnik gegenüberstehen, lieferte dann – gleichfalls am Wochenende – ausgerechnet Ulla Schmidt (SPD). Die neue Bundesgesundheitsministerin fragte in einem Interview provokant unbekümmert: „Was hilft es mir, ob ich von einer genetischen Veranlagung für Brustkrebs weiß oder nicht?“ Schmidt tat gerade so, als wäre diese Information, dieses erst gentechnologisch ermöglichte Lebenswissen, nicht geeignet, das Leben der Betroffenen auf den Kopf zu stellen. Vielleicht sollte Edelgard Bulmahn ihre Kabinettskollegin Schmidt im April nach Leipzig einladen – dann macht die gentechnologische Aufklärungskampagne nämlich wieder Station beim Bürger. CHRISTIAN FÜLLER
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