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1:0 durch Nummer vier

Die Fußball-WM in Seattle ist in vollem Gange. Ein Roboterteam von der Freien Universität Berlin zieht Richtung Finale. Spätestens im Jahr 2050 sollen die künstlich Intelligenten echte Kicker schlagen

aus Seattle SABINE AM ORDE

Kritisch guckt Raul Rojas auf das Spielfeld. „Nummer vier ist zu langsam“, sagt er. „Außerdem stimmt die Aufstellung noch nicht so ganz. Nummer drei darf nicht im Kreis stehen.“ Doch für Veränderungen ist keine Zeit. „FU-Fighters, ready?“, ruft der Schiedsrichter über das Feld. Rojas nickt. Auch Robosix, der französische Gegner aus Paris, ist startklar. Anpfiff, das Spiel beginnt. Sofort stürmt Nummer vier vor, schiebt den Ball nach vorn, umrundet den gegnerischen Spieler und schubst den Ball ins Tor. Eins zu null für die deutsche Mannschaft nach 20 Sekunden.

Nicht nur dieser schnelle Erfolg des deutschen Teams macht hier den Unterschied zur normalen Fußballweltmeisterschaft. Bei dieser WM ist auch sonst alles anders. Denn beim fünften Robocup, der derzeit im US-amerikanischen Seattle stattfindet, sind die Spieler Roboter.

Nummer vier, der gerade das erste Tor für die FU-Fighters von der Freien Universität Berlin (FU) geschossen hat, sieht aus wie ein abgerundeter, schwarzer DIN-A5-Karteikasten auf Rädern. Fünf dieser Kästen, alle dekorativ mit Kulleraugen ausstaffiert, sausen für die FU-Fighters über das Spielfeld, bei der französischen Mannschaft sind nur drei Roboter einsatzbereit. Gespielt wird mit einem orangefarbenen Golfball auf einem Feld, das so groß wie eine Tischtennisplatte ist.

Am Rande des Spielfelds stehen Tische mit Computern darauf, daneben stapeln sich Ersatzroboter und Schraubenzieher, Ladegeräte und Batterien. Hinter den Computern sitzen sechs junge Männer in dunkelblauen T-Shirts mit dem Schriftzug der Freien Universität, sie starren auf Spielfeld und Computer. Mehr ist den Nachwuchsinformatikern jetzt nicht erlaubt. Nach dem Anpfiff sind die Roboter auf sich selbst gestellt. „Wir dürfen erst wieder eingreifen, wenn es eine Auszeit oder eine Pause gibt“, sagt Rojas, der Informatikprofessor an der FU und Chef der FU-Fighters ist. Bis dahin analysiert allein der Computer die Spielkonstellation und steuert die Roboter auf dem Feld.

Die Grundlage dafür liefert eine Kamera, die über dem Feld hängt. Sie sendet Bilder vom Spielgeschehen an den Computer. Der wiederum ortet mit Hilfe von Farben die wichtigen Dinge auf dem Feld: Der Ball ist orange, das Tor gelb, der Gegner lila. Die eigenen Spieler sind blau markiert, dazu an den Seiten pink und grün. Daran erkennt der Computer die einzelnen Spieler und wo vorne und hinten ist. Dann sendet er Handlungsanweisungen an die einzelnen Roboter auf dem Feld.

Und genau das macht aus einer Computerspielerei für Fußballfans ein ernsthaftes wissenschaftliches Unternehmen im Bereich der künstlichen Intelligenz. Denn seitdem der Computer „Deep Blue“ Schachweltmeister Gari Kasparow seine Grenzen aufgezeigt hat, suchen Informatiker hier eine neue Herausforderung: Sie arbeiten an Robotern, die sich in der realen Welt selbstständig zurecht finden, die sich auf veränderte Situationen einstellen und in Echtzeit reagieren können, die teamfähig sind und lernen können. „Ein wesentlicher Aspekt beim Verstehen von Intelligenz ist Teamwork“, sagt Lars Knipping, einer von Rojas Mitarbeitern. „Deshalb ist Fußball so geeignet für diesen Wettbewerb.“

Beim Robocup geht es also um mehr als einen Weltmeistertitel im Computerkicken – auch wenn nach den Wünschen der Informatiker bei der Fußball-WM 2050 ein Roboterteam eine menschliche Mannschaft schlagen soll. In Seattle kämpfen 120 Forschergruppen aus 25 Ländern darum, unter den Besten zu sein in der Erforschung der künstlichen Intelligenz. Ihr langfristiges Ziel: Roboter zu schaffen, die sich in Büros und Fabriken selbstständig zurechtfinden können.

Die FU-Fighters sind einer der Favoriten in der Liga der kleinen Roboter. Elf Mitarbeiter und Studenten von Rojas sind dafür nach Seattle gereist. Seit dem Sommersemester 1998 bauen sie ihre Fußballroboter. Diplomarbeiten sind dabei entstanden, bald soll es auch eine Doktorarbeit sein. Anders als bei anderen Teams sind die Berliner allesamt Informatiker. „Bei der Technik und der Elektronik haben wir manchmal Schwierigkeiten“, sagt Mitarbeiter Sven Behnke. „Aber wir sind gut im Improvisieren und haben immer Klebeband dabei.“ Das Tüfteln macht den Nachwuchswissenschaftlern besonders viel Spaß. „Es ist diese Mischung aus allem, die es so schwierig, aber auch so reizvoll macht“, sagt Knipping.

Die Begeisterung der FU-Fighters hat sich offensichtlich ausgezahlt: 1999 und 2000 wurde das Team Vizeweltmeister, im letzten Jahr auch Europameister. Die Berliner sind nicht die einzigen Titelfavoriten aus der Bundesrepublik. Das Team aus Karlsruhe wird als möglicher Weltmeister in der Simulationsliga gehandelt, in der es keine Roboter gibt, sondern alles am Computer passiert. Die Mannschaft aus Freiburg verteidigt ihren Weltmeistertitel in der Liga der mittelgroßen Roboter.

Abpfiff zur Pause, es steht 3:0. Die erste Halbzeit, die theoretisch nur zehn Minuten dauert, hat sich fast eine Dreiviertelstunde hingezogen. Einer der FU-Studenten greift zum Schraubenzieher, ein anderer haut wie wild in die Tasten des Computers. „Wir versuchen, die Robbies neu auszurichten“, sagt Behnke. Die drehen sich zu sehr um sich selbst.“ Das scheint an den neuen Rädern zu liegen, mit denen die Roboter neuerdings ausgestattet sind. Ihr Vorteil: Sie können in alle Richtungen fahren ohne zu wenden. Das Ausrichten in der Pause ist allerdings riskant: „Oft werden dann neue Fehler eingebaut.“

Doch beim Spiel gegen die Pariser können die FU-Fighters gelassen sein: Am Ende steht es 5:0. Und durch zwei 10:0-Siege zuvor gegen die australischen Viperoos und Owaribito aus Japan sowie ein 3:0 über die Field Rangers aus Singapur hatten sich die Berliner längst für das Viertelfinale qualifiziert. Dort treffen sie auf das spanische RoGi-Team. „Gegen die haben wir schon zweimal gewonnen“, sagt Rojas. Ganz anders schätzt er die Big-Red-Mannschaft von der US-amerikanischen Cornell-Universität ein, auf das die FU-Fighters spätestens im heutigen Endspiel treffen werden. Die großen Roten sind amtierender Weltmeister. Beim WM-Finale 2000 in Melbourne hatten sie die FU-Fighters geschlagen. „Die sind einfach viel besser finanziert, sie haben mehr Geld und mehr Leute“, sagt Rojas über den Angstgegner aus Amerika. Stolz ist der Informatikprofessor aber trotzdem auf sein Team. Und besonders auf eine Neuerung: die Roboter, die mit eigener Kamera ausgestattet sind. „Sie beginnen zu sehen“, sagt Rojas. Und genau das ist eben sein Ziel: „Die Vermenschlichung der Roboter.“

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