speichenbruch: Erik Zabel siegt im Akkord – auch bei der WM?
Das ganze Jahr rennsüchtig
Dass sich Spitzensportler zwecks Motivation neue Ziele setzen müssen, ist eine Binsenweisheit. Radrennprofis haben es da glücklicherweise einfacher als manche Kollegen: Auf schmalen Reifen zählen nicht nur Weltmeisterschaft und Olympia, sondern vor allem Tour de France, Giro d’Italia und Vuelta sowie ein halbes Dutzend Eintagesklassiker. Bei der Vuelta, der Spanienrundfahrt, war Erik Zabel bis zu diesem Jahr nur einmal angetreten: 1995 nämlich, als noch kaum jemand nur eine Mark für das Team mit dem großen T auf der Brust verwetten wollte. Und auch der Berliner war noch nicht der große „Ganador“, so wie kürzlich bei seinem zweiten Start in Spanien, bei dem er gleich drei Sprintsiege einfuhr. Ein bisschen Pathos darf da schon sein. „Es hat 31 Jahre gedauert, bis ich meine erste Vuelta-Etappe gewonnen habe“, flötete Zabel also in die Diktiergeräte; allein dafür habe sich „das Kommen gelohnt“.
Und wofür lohnt sich nun sein Mitwirken bei der WM in Lissabon? Ob der späten Austragung zum Saisonende ließ sich Zabel gern mit dem Satz zitieren, für ihn sei eine WM im Oktober wie „Olympische Winterspiele im Juli“. Beflügelt vom Vuelta-Triumph hat sich der 31-Jährige aber doch als Edelhelfer für Jan Ullrich angeboten, der ihn noch im August zum Weltcupsieg in Hamburg gezogen hatte. Als Zabel zwischenzeitlich wieder wankelmütig wurde, soll ihn der prominente Teamrivale höchstpersönlich um Beistand in den Straßen Lissabons gebeten haben. Dass sich der auf Sieg geeichte Sprinter nur als selbstloser Adjutant sieht, ist indes wenig wahrscheinlich, zumal ihm das Regenbogentrikot noch fehlt in seiner beachtlichen Jersey-Sammlung.
Gewiss, das Profil der WM-Strecke, die auf gut 250 Kilometer immerhin rund 4.000 Höhenmeter verteilt, scheint gegen Zabel zu sprechen. Andererseits kommt er längst besser über mittelschwere Erhebungen als alle anderen Sprinter. Sollte es Ullrich also nicht gelingen, spätestens in der letzten Runde eine Vorentscheidung mit einer kleinen Gruppe herbeizuführen, könnte der spurtstarke Zabel wieder im Titel-Rennen sein. Da das deutsche Team eine erweiterte Telekom-Mannschaft ist, in der mit Once-Profi Jörg Jaksche auch noch ein Ex-Magenta-Mann fährt, sollte es mit dem Teamwork ähnlich gut klappen wie in der Vuelta, wo die Mannschaft ganz auf Zabel gepolt und selbst Sprinter-Kronprinz Danilo Hondo als letzter Windschattenspender ins zweite Glied gerückt war.
Ohnehin steht Erik Zabel, der allein in dieser Saison knapp 30 Siege einfuhr, im Lichte der Öffentlichkeit längst blendend da. Jüngste Umfragen ergaben sogar einen knappen Sympathiebonus vor Jan Ullrich. Dennoch musste er teamintern in dieser Saison gleich zwei Demütigungen in Folge ertragen: Nur mühsam hatte er sich eine Woche vor der Tour de France in Sarkasmus geflüchtet, als er Ullrich auf Stallregie hin kampflos die deutsche Meisterschaft überlassen musste. Und erst kurz davor hatten ihn die Telekom-Chefs darüber informiert, dass Gian-Matteo Fagnini, Zabels Lokomotive auf den letzten Metern, die Tour nur vor dem Fernseher erleben würde.
Trotzkopf Zabel gewann dann auch ohne seinen Sprint-Helfer drei Etappen und das grüne Trikot, sein sechstes in Folge. Und er konnte nach der Vuelta den längst pausierenden Tour-Dominator Lance Armstrong als Spitzenreiter der Weltrangliste ablösen.
Mit 31 Jahren ist Zabel nicht nur auf dem Karrierezenit, sondern womöglich auch am wunden Punkt angelangt. Längst hat er realisiert, dass er nie wieder etwas so gut können wird, wie auf den letzten Metern eines Radrennens den entscheidenden Tick schneller zu sein. Fast verständlich ist es da, dass er seine Saison deshalb gern ins Unendliche streckt. Bei Gattin Cordula indes ist der rennsüchtige Ganzjahresathlet damit an die Grenzen des Verständnisses gestoßen. Schon im August musste sie zwecks Vorbereitung des Weltcups in Hamburg Trainingseinheiten im vermeintlichen Familienurlaub auf Mallorca hinnehmen. Seit Sohn Rik zur Schule geht, sind die Zabels da nicht mehr so flexibel. Und wenn Papa Erik nach der WM dann wieder Lust auf sein erklärtes Lieblingsrennen Mailand–San Remo bekommt, dürfte die gemeinsame Erholung mal wieder viel zu kurz kommen. Denn wer bis Ende März die dafür nötigen Trainingskilometer – so um die 15.000 dürfen es schon sein – in den Beinen haben will, muss schon lange vor Weihnachten wieder aufs Rad steigen. Und das nicht nur zum Brötchenholen fürs Familienfrühstück. JÖRG FEYER
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