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Physis und Gefühl

Das Festival Manufacturing Dance der Tanzinitiative Hamburg macht Interkörperliche Zwischenräume sichtbar  ■ Von Annette Stiekele

Die Tanzkultur ist im Wandel. Immer stärker geht es um die „Erzählweisen“, die der tänzerische Ausdruck heute verhandelt. Der tänzerische Ausdruck wird nicht länger primär als Instrument, sondern auch als eigener Reflexionsgegenstand wahrgenommen. Der Körper ist schließlich nicht losgelöst von kultureller Sozialisation und individueller Geschichte zu betrachten.

Das ist auch das große Thema des diesjährigen Festivals der Tanzinitiative Hamburg. Nach Körper Glimmen 1999 und Alla Prima 2000 heißt es in diesem Jahr vom 21. bis zum 25. November Manufacturing Dance.

Neben feinsten Darbietungen in zeitgenössischem Tanz bietet es wie immer auch kritische Fragestellungen. 13 Tage lang treffen sich Tanzschaffende und Choreographen zum gemeinsamen künstlerischen Austausch und zur Diskussion. Im Hauptteil Frameworks kommen Vertreter europäischer Tanzzentren, aus dem Londoner Chisenhale Dance Space, dem Berliner Dock 11, dem Brüsseler Les Bains, dem Tanz Bremen und der Tanzinitiative Hamburg zusammen. Am 24. November treffen sie sich zu einer Podiumsdiskussion unter dem Titel Tanz als Produkt?.

Damit aber vor lauter Reflexion über den Gegenstand die Sinne nicht zu kurz kommen, gibt es im Anschluss auch etwas zu sehen. Die bekannte Hamburger Choreographin Angela Guerreiro stellt ihre Performance Solo-Skizzen vor, die Berlinerin Eva Meyer-Keller führt ihr distanziertes Solo Proper Dancing in the Background auf, und zum Abschluss zeigt Pierre Ruvbio Impossible to Achieve.

Hinzu kommen zwei Tanzlaboratorien für professionelle Tänzerinnen, das erste, By the Throat, leitet die Kalifornierin Kim Epifano, das zweite mit dem Titel Defining the Moment die Londoner Jovair Longo und Rick Nodine. Am 21. November wird das Ergebnis ihrer Arbeit in einer Werkstattaufführung in der Triade präsentiert.

Am 22. November steht außerdem ein Lectureabend auf dem Programm. Die Tanzsoziologin Gabriele Klein wird etwas zum Thema Performing the Body, Untertitel Körperkonzepte im Tanz der Moderne, vortragen, und der Londoner Gill Clarke präsentiert seine Lecture-Demonstration Minding the Moment.

Mehr für die Sinne gibt es am 23. November auf Kampnagel. Dort präsentieren sich drei unterschiedliche Gruppen mit ihren Performances in einer langen Nacht. Das Hamburger Duo Anne Rudelbach und Antoine Effroy zeigen noch einmal ihre erste Arbeit Nuit Blanche. Darin vermitteln sie tänzerisch in einer strengen, sehr genauen Sprache, wie sich eine durchwachte Nacht anfühlen kann. Mehr Risiko und Dynamik gibt es mit dem Londoner Duo Jovair Longo und Rick Nodin.

Den krönenden Abschluss bildet die junge Londoner Company Walker Dance mit einer Deutschlandpremiere. Das Duo, bestehend aus der Tänzerin Fin Walker und dem Musiker und Komponisten Ben Park, existiert seit 1998 und hat sich an die Spitze des britischen Gegenwartstanzes gesetzt. Sie teilen alles, das Leben, die Arbeit, den Ausdruck. Sie beziehen sich ständig aufeinander und tauschen ihre Realitäten aus. In Moment to Moment tanzt Fin Walker das Selbstportrait einer Choreographin und Performerin. Das Tanzsolo dient ihr dazu, den Zusammenhang von Persönlichkeit, Physis und Gefühl darzustellen, der sich in einem steten Fluss befindet. Es geht um die Momente von Bewegung zu Bewegung, von Bewegung zur Musik, von Choreograph zu Performer.

Und genau das ist neben der Wirkungsweise das Grundthema auch dieses Festivals. „Die Kunst imitiert das Leben“, sagt Fin Walker. „Wir zeigen, wie untrennbar diese beiden Elemente miteinander verbunden sind, wenn eine persönliche Performance entstehen soll.“

Annette Stiekele

Tanzlabor I+II: 21.11., 20 Uhr, Triad, Bernstorffstr. 117Lecture-Abend + Demonstration: 22.11., 20 Uhr, TriadeNuit Blance, Ongoing, Moment to Moment: 23.11., 19.30 Uhr, Kampnagel (k1)frameworks: Podiumsdiskussion: 16 Uhr, Performances: 20 Uhr, TriadeInfo Triade: 040 / 439 38 48 oder triade@arcormail.de

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