Nordrhein-Westfalen soll süddeutsch werden

Die Westdeutschen können sich ab Mitte Januar über eine Regionalausgabe der „SZ“ freuen. Der Verlag versucht, neue Märkte zu erschließen

Die Königsallee, lange Zeit teuerste Einkaufsmeile Deutschlands, zur Rechten. Den nordrhein-westfälische Landtag, Zentrum politischer Macht, zur Linken. Das ist der Blick aus dem Konferenzraum der NRW-Redaktion der Süddeutschen Zeitung in Düsseldorf. Wie ein erwachender Käfer streckt sie die Fühler aus, tastet sich vor in den nordrhein-westfälischen Dschungel, um den nicht gerade verwöhnten Kunden auf täglich acht Seiten das Neueste aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport zu präsentieren.

Wird es ein Maikäfer, der nach schwerfälligem Flug trudelt und abstürzt? Oder wird es ein Hirschkäfer, der sich mächtig erhebt, NRW von Osten nach Westen, von Süden nach Norden durchkämmt und alles, was er erspäht, in die Zange nimmt?

Die Konkurrenz von Westdeutscher Allgemeiner Zeitung, Rheinischer Post und des Kölner Verlags DuMont Schauberg (Kölner Stadt-Anzeiger) sähe lieber einen Maikäfer schlüpfen. Um die Geburtswehen des neuen Babys des Süddeutschen Verlags zu verstärken, haben die drei Platzhirsche im Juli die Vertriebsverträge zum Jahresende gekündigt. Ohne diesen Knüppel zwischen den Beinen gäbe es die NRW-SZ heute schon am Kiosk zu kaufen.

Doch die Bayern lassen sich nicht unterkriegen. In einem Kraftakt bauen sie derzeit ein eigenes Vertriebsnetz auf, das seinerseits den alteingesessenen Verlagen Konkurrenz machen könnte. Ab 2. Januar soll die SZ über eigene Wege an die Leser verteilt werden. Das Motiv für einen NRW-Regionalteil ist klar: Mit 31.000 Exemplaren dümpelt die NRW-Auflage der SZ hinter den Konkurrenten FAZ (91.000 Exemplare) und Welt (51.000 Exemplare). Obwohl das bevölkerunsgreichste Bundesland rund 18 Millionen Einwohner zählt, setzt die SZ hier bisher nur sieben Prozent ihrer Auflage ab. Das soll sich mit dem neuen Regionalteil radikal ändern.

Für den Hirschkäfer spricht das hochmotivierte Team um die leitenden Redakteure Hans-Jörg Heims und Joachim Blum. Mit 16 neu eingestellten Redakteuren durchstreifen sie den langen Flur der 600 Quadratmeter großen Büros. Gediegener, blaugrauer Teppichboden federt die Schritte ab, den weißen Wänden fehlen größtenteils noch Bilder. Schränke warten auf Aktenordner, und die Journalisten ungeduldig auf den 15. Januar 2002. Dann soll die erste reguläre Regionalausgabe erscheinen.

„In sehr gutem Aufbaustatus“ sei das Projekt, so Blum. Einige Dutzend freie Mitarbeiter seien zur Verstärkung engagiert, aus München hätten die Düsseldorfer „alles bekommen, was wir wollten“. Zurzeit werden jeden Morgen Konferenzen abgehalten und Themen verteilt. In zwei Wochen sollen dann in einer ersten 14-tägigen Testphase „Dummies“ produziert werden – fertig gedruckte Zeitungen, die allerdings außer der Chefredaktion in München nur wenige zu Gesicht bekommen werden.

Die Verantwortlichkeiten für acht Seiten „SZ in NRW“ sind nach Ressorts aufgeteilt: Die ersten drei Seiten und die letzte sind unter „NRW aktuell“ zusammengefasst: Landespolitik, Nachrichten, Hintergrundstücke. Die Seiten vier, fünf und sechs fallen Wirtschaft, Kultur und Sport zu. Montags wird die Wirtschaftsseite von einer zweiten Sportseite verdrängt. „Wir wollen ein tägliches Magazin für NRW machen“, sagt Blum. „Die Orchideen aus dem Siegerland sollen genauso zur Geltung kommen wie die großen Wälder der Großstädte.“ Weil die Berichterstattung der Konkurrenz stark vom jeweiligen Erscheinungsort geprägt sei, gehe er voller Zuversicht in das „Zukunftsprojekt“. Denn, so Blum, „ich gehe davon aus, dass die Leser nicht so kleinklein denken“. Damit wären wir beim Maikäfer. Das mobile, gebildete, also SZ-affine Publikum, so sagen die Skeptiker, gebe es in Nordrhein-Westfalen kaum. Gerade im Ruhrpott reiche der politische Blick nicht weiter als bis zur nächsten Straßenecke. Ausnahme: Kulturveranstaltungen. Doch der Optimismus der Redaktionsleitung ist ungebrochen. Mit der Verzögerung des Starts um zwei Monate durch die Vertriebskündigungen sei sogar wichtige Zeit gewonnen worden, um sich „in aller Ruhe vorzubereiten und eine gemeinsame Sprache zu finden“, meint Heims. Nun bleibt abzuwarten, ob die Süddeutsche auch die Sprache Nordrhein-Westfalens spricht. SEBASTIAN SEDLMAYR