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herr köhler isst eine schweinshaxe von JÜRGEN ROTH

In der Frankfurter Lokalität „Speiserestaurant – Pension“, gelegen an der Mainzer Landstraße, isst Herr Köhler nach altem Brauch eine Schweinshaxe. Herr Köhler isst dort jedes Jahr eine Schweinshaxe. Er isst genau einmal pro Jahr in der „Speiserestaurant – Pension“ eine Schweinshaxe. Es gibt hierfür keinen anderen Grund als den, dass der Göttinger den Besuch in Frankfurt am Main krönen möchte mit dem Verzehr einer Schweinshaxe. Er möge keine Currywurst und ebenso wenig ein Hawaiisandwich essen, sagt Herr Köhler, er möchte einen Schnaps und vorher eine Schweinshaxe.

Herr Schaefer, sein Göttinger Großonkel, der jedes Jahr dabei ist, sieht das genauso. Herr Köhler freut sich schon, als man sich gerade an einem Tisch in der braun getäfelten Wirtschaft niederlässt, auf seine diesjährige Schweinshaxe. Herr Schaefer bekräftigt ihn in seiner Absicht, eine Schweinshaxe zu essen. Gegen eine Schweinshaxe gebe es keinen Einwand, sagt Herr Schaefer, und Herr Köhler bestätigt dies lachend. Er wetzt sein Messer an der Gabel.

Herr Köhler ist ein Herr. Er besitzt Manieren, ein gutes Gemüt und ein ungetrübtes Vorfreudeunterbewusstsein für und auf diese Schweinshaxe.

Was ist eine Schweinshaxe? Eine Schweinshaxe ist ein Stück Fleisch an einem Beinknochen vom Schwein, und um die Fleischfasern schmiegt sich ein Paket aus Schwarte und Fett, das von einer kross gebrutzelten Zarthaut umschmeichelt wird. Das sieht sehr gut aus. Die Speisekarte macht den leckeren Eindruck deutlich.

Herr Köhler trinkt drei Bier, um sich, so sagt er, „auf die Schweinshaxe einzustimmen“. Herr Schaefer, ein Anhänger des Jägerschnitzels, folgt ihm darin. Dann kommt sie. Herr Köhler lacht wieder, lässt sich den Teller vorsetzen, beäugt ihn kurz, greift zum Besteck und treibt die Gabel durch die krosse Haut. Es knurpselt und knöckelt. Herr Köhler bohrt ein wenig im Inneren der Schweinshaxe herum. Er dreht die Gabel wie einen Schraubenschlüssel. Diese Schweinshaxe sei geraten, bemerkt er. Nun nimmt er das Messer und keult hinein; tief versinkt das blitzende Besteck in gläsernem Schmackel und hellrosa Frumel. Auseinander schlappt die Haxe. Wie Holz splittert der schenkeldicke Batzen. Von der Mitte aus zerklappt das Schmorgel und plörzt auf die Rautendecke. Herr Köhler pickt einen Fettlappen auf und zermampft ihn. Er zerspöckt Fleisch und zutzelt es hinunter. Ein Knochen hat keine Chance. Das Messer saust nieder auf ihn. Schnäpse eilen herzu. Der linke Schweinshaxenflügel wird tranchiert und kapituliert. Rechts gräbt die Gabel und zerfetzt die Flanke.

Herr Köhler hält inne. Herr Schaefer schaut ihn an. „Was ist los?“, fragt er. „Ist etwas nicht in Ordnung?“ Herr Köhler ordnet seinen Bart, pickt ein glitzerndes Partikel aus dem goldenen Kinnhaar und blickt über die Brillengläser. „Wo sind die Geräusche? Wenn man sie braucht, sind sie nicht da.“

Genagt’ Gebein befläzt Blumenteller. Der Kellner kommt. „Alle Achtung! Schwerstarbeit, so ’n Ding!“, murmelt er. „Alloahe!“, jubelt Herr Köhler.

Das Speiserestaurant ist von Klatschen erfüllt.

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