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Hindernisse einfach beiseite morden

Vorletzte Diplominszenierung auf Kampnagel: Der 26-jährige Hamburger Absolvent Matthias Kaschig nutzt Bernard-Marie Koltès Massenmörder-Psychogramm „Roberto Zucco“, um den Mythos des Pop zu entlarven. Explizit gewalttätig und blutig. Und mit etlichen Ungereimtheiten

„Wieso tötet jemand?“, fragt ein Wärter den anderen. „Aus Bosheit“, lautet die simple Antwort seines Kollegen.Auch nach der heimlichen Beobachtung von 600 Strafgefangenen rätseln die beiden, warum der eine Teil der Menschheit zum Mörder wird, der andere nicht. Man ahnt es schon, die vorletzte Diplominszenierung auf Kampnagel fiel blutig aus. Der 26-jährige Matthias Kaschig hat Roberto Zucco von Bernard-Marie Koltès auf die Bühne gebracht.

Koltès entwickelte das Stück 1989 nach einer historisch überlieferten Geschichte – der Vita des Massenmörders Roberto Zucco, der durch Italien und Frankreich zog. Koltès erstellt in seinem Stück das Psychogramm eines instabilen jungen Mannes. Er killt seinen Vater, landet im Gefängnis, flieht, bringt seine Mutter um. Und so weiter.

Matthias Kaschig dagegen benutzt den Stoff, um den Mythos des Pop zu entlarven. Sein Zucco ist ein hasserfüllter „natural born Killer“. „Um in Ruhe zu leben, muss man durchsichtig sein“, so die Erkenntnis von Zucco (Georg Jungermann). Und das heißt: alle Widerstände auslöschen. Dazu zählt auch ein junges Mädchen (Patrycia Ziolkowska). Sie verliebt sich, schläft mit ihm und stößt fortan Sätze aus wie „Du hast mir meine Jungfernschaft genommen. Damit hast du sie bis ans Ende meiner Tage.“

Kaschig treibt sein Ensemble dabei über eine Bühne, die Michael Böhler als Mischung aus Kneipentheke, Straßenstrich und Gefängnis zusammengezimmert hat. Fahndungsplakate überall. Der Regisseur schneidet die Szenen hart gegeneinander. Seine Darsteller übernehmen gekonnt mehrere Rollen. Doch im Lauf der Inszenierung mehren sich Ungereimtheiten. Sätze wie „Die Hunde sind die einzigen, denen Du vertrauen kannst“ häufen sich. Am Ende löst sich die Handlung in reichlich expliziter Gewalt auf. Und alles nur, um am Ende unsere Sehnsucht nach Mythen im wahren Roberto Succo (Yuri Englert) in Elvis-Pose auferstehen zu lassen?

Annette Stiekele

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