: „Wir machen trockene Füße“
Ohne die Riesen-Pumpen im Schöpfwerk Wasserhorst wären die Vahr und Osterholz nur Sumpf. Über das Wasser und die Weitsicht der Bremer Bauern von Armin Simon
Bremens großes Problem ist das Wasser. 85 Prozent des Stadtgebietes zwischen Weser und Wümme sind überflutungsgefährdet. Gegen die Fluten von außen schützen Deiche. Gegen das Wasser von oben schützt nichts. Das muss weg - doch wohin? Dem Abfluss in die Weser steht die Bremer Düne im Weg - jener Sandhügel, der sich von Mahndorf bis nach Burg- Gramke erstreckt. Den Weg in die Wümme versperrt der Deich. „Bremen ist eine Badewanne“, sagt der Geschäftsführer des „Bremischen Deichverbandes Rechts der Weser“, Winfried Döscher.
Döscher ist für den Stöpsel zuständig.Der steckt im Lesums-Deich. Im „Schöpfwerk Wasserhorst“, auf halber Strecke zwischen Burg- Gramke und Ritterhude. In dem dunklen Gewölbe stehen vier blau- rote Motoren, jeder so groß wie zwei übereinandergestellte Ölfässer. Döscher sagt: „Ohne das hier ginge in Bremen nichts.“ Seit 600 Jahren ist das schon so.
Wie ein primitives Rückschlagventil hatten Bauern damals hölzerne Tore in den Deich gestemmt. Durch sie rauschte das Wasser bei Ebbe aus dem Stadtgebiet abwärts in die Lesum. Bei Flut verhinderten die Holztüren den Rückfluss ins Blockland. Weil aber Weser und Lesum mehr und mehr versandeten, funktionierte das System bald nur noch bei starker Ebbe. Die Verzweiflung der Blocklander Bauern über die dauernassen Felder im 19. Jahrhundert ist im Staatsarchiv dokumentiert - bis der Senat die Devise „trockene Sommerwiesen“ ausgab. Eine künstliche Entwässerungsanlage sollte den Bremer Sumpf soweit austrocknen, bis Ackerbau wieder ging.
Dass ein windbetriebenes Schöpfwerk nicht ausreichen würde, war unter Experten schnell klar. Den Streit über teure, mit Dampfkraft betriebene Wasserpumpen löste die eigens eingerichtete Deputation: Im Erfolgsfall würden die Anlieger per Abgaben an den Betriebskosten beteiligt. So lange zahlte der Senat.
500 Arbeiter schufteten mehr als zwei Jahre lang - von Frühjahr 1862 bis September 1864. Sie hoben Baugruben und Wasserbecken aus, rammten Pfähle in den morastigen Untergrund, bauten Kessel- und Pumpenhaus, Maschinenhalle, Schornstein, Kohlenschuppen sowie zwei Wohnungen. Maschinisten und Heizer zogen samt Familien ein. Als die 250-PS-Dampfmaschine im September 1864 ihren Betrieb aufnahm, war das Bremer Schöpfwerk das größte seiner Art in ganz Deutschland.
223.400 Goldtaler hatte der Bau verschlungen, weitere 12.000 Taler jährlich fraß der Betrieb des Schöpfwerks, dessen Einzugsgebiet heute 9.000 Hektar Fläche umfasst. Gearbeitet wird nach dem alten Prinzip: In 600 Kilometern Fleeten und Gräben sammelt sich die Brühe, bevor sie in der “Blockländer Entwässerungsanstalt“ aus der Wanne befördert wird. Seit 1932 geschieht das mit strombetriebenen Pumpen, ohne die der Bauboom im Bremer Osten undenkbar gewesen wäre: Die Vahr, Blockdiek und Osterholz würden im Morast versinken. 1986 ersetzte der Deichverband die alte Anlage durch einen Neubau, daneben sind noch vier kleinere Schöpfwerke an Wümme und Weser in Betrieb. “Unser Produkt sind trockene Füße“, sagt Döscher. Bis heute nutzen die Wasserschöpfer die Natur als Kostendämpfer. Bei niedrigem Lesum-Pegel läuft das Nass alleine ab. Nur wenn der Wasserstand draußen zu hoch ist, springen automatisch die Pumpen an: Neun Pegelmesser sind übers Blockland verteilt, ein Computer berechnet, wann wie viel Wasser raus muss, damit die Häuser in Bremen stehen bleiben und die inzwischen unter Naturschutz stehenden Feuchtwiesen nicht austrocknen.
Von den 40 Millionen Kubikmetern, die jährlich abrauschen, fließt rund die Hälfte alleine weg. Nur im Winter, bei Dauerregen, wenn die Nordsee in die Weser drückt, laufen die riesigen Propellerschrauben zu Hochtouren auf und heben enorme Wassermengen über den Deich. 14 Kubikmeter pro Sekunde rauschen dann durch die schwarzen Stahlrohre. Tonnenschwere Gewichte und Klappen verhindern den Rückfluss des Bremer Wassers. „Dann knallt es hier“, sagt Döscher. Der Ohrenschützer hängt an der Wand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen