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Kein Maßstab für die Welt

Ohne Sieg und ohne Tor muss der Titelverteidiger aus Frankreich nach dem 0:2 gegen Dänemark die Heimreise von der Fußball-Weltmeisterschaft antreten. Auch Zidane kann die Blauen nicht retten

INCHEON dpa ■ Auch Superstar Zinedine Zidane hat Frankreich nicht vor der größten Pleite eines Titelverteidigers bei einer Weltmeisterschaft bewahren können. Der als Topfavorit gestartete Champion muss nach dem bitteren 0:2 gegen Dänemark als erster Weltmeister sieg- und torlos nach der Vorrunde die Koffer packen. Als die „Blauen“ nach dem Schlusspfiff frustriert mit hängenden Köpfen vom Feld schlichen, war in Incheon nach triumphalen Jahren mit dem Gewinn von WM, EM und Konföderationen-Pokal eine große Ära zu Ende gegangen. Dagegen erreichte das kleine Dänemark zum dritten Mal ein WM-Achtelfinale.

„Tief enttäuscht“ reagierte Frankreichs Staatschef Jacques Chirac auf das Vorrunden-Aus. Jetzt müsse ein neuer Weg eingeschlagen werden, denn „der französische Fußball muss ein Maßstab für die Welt bleiben“, forderte der Präsident. Der entthronte Weltmeister ist nach Italien 1950 und Brasilien 1966 erst das dritte Team, das bereits in den Gruppenspielen hängen blieb. Damit dürfte nach 53 Spielen auch Nationalcoach Roger Lemerre kaum zu halten sein, der als einstiger Assistent Weltmeistertrainer Aimé Jacquet vor vier Jahren nach dem Triumph im eigenen Land beerbte.

„Über Rücktritt habe ich noch nicht nachgedacht. Es geht auch nicht um Roger Lemerre, das ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass wir jetzt mit dem Nachwuchs gut weiterarbeiten“, sagte Lemerre eine Woche vor seinem 61. Geburtstag. Die Ursachen für das klägliche Scheitern will er mit dem französischen Verband analysieren. Immerhin gestand Lemerre ein: „Wir haben das Weiterkommen nicht verdient.“ Fest steht: Das überalterte Team (29,7 Jahre) steht vor dem Umbruch.

Während Vorgänger Jacquet gemeinsam mit 48.100 Zuschauern im Munhak-Stadion den Sturz vom Thron mitverfolgte, erlebte Lemerre wie eine Salzsäule an der Ersatzbank stehend den dritten und letzten Teil des Fiaskos, an dem auch Zidane nichts ändern konnte. Der 29-Jährige wurde schon bei seiner Vorstellung nicht nur von den französischen Fans enthusiastisch begrüßt, war aber nach seiner Oberschenkelverletzung sichtbar noch nicht fit. Der Ausnahmekönner hatte die Blessur bei der WM-Generalprobe vor zweieinhalb Wochen gegen Südkorea erlitten – ein eigentlich unverantwortliches Testspiel, für das letztlich Lemerre die Verantwortung trägt.

„Ich war müde, aber das ist normal“, meinte Zidane, der nach seinem 75. Länderspiel wie meist keinen rechten Einblick in seine Gefühlswelt zuließ: „Das haben wir nicht erwartet, aber so ist Fußball. Wir hatten Chancen, aber kein Glück.“ Stürmer David Trezeguet meinte mit Blick auf den EM-Titel: „Wir haben als einzige Mannschaft auch nach einer WM gut gespielt. Eine Geschichte, die vor vier Jahren begann, ist heute zu Ende gegangen.“ Wie bisher WM-Neuling China sowie Polen und Saudi-Arabien blieb Frankreich – trotz der Torschützenkönige aus drei Ländern – ohne Treffer. „Alle unsere Gegner wollten nur verteidigen“, stellte Trezeguet enttäuscht fest.

Die Dänen konnten mit ihrem Ergebnis-Fußball zwar nicht begeistern, doch der Gruppensieg rechtfertigte ihren Defensivstil. Effektiv war er obendrein, auch wenn Jon Dahl Tomasson vor seinem vierten Turniertreffer in der 77. Minute klar am Trikot von Marcel Desailly zog, dessen Abschied nach 97 Länderspielen ebenso naht wie der einiger anderer Routiniers. Zwei Jahre nach dem 0:3 bei der EM nahmen die stark verbesserten Dänen, für die Dennis Rommedahl (23.) das wichtige 1:0 erzielt hatte, dagegen Revanche an den „Blauen“.

„Gegen eine so gute Mannschaft wie Frankreich kann man nicht gewinnen, wenn nicht alle verteidigen“, meinte Trainer Morten Olsen. „Wir hatten einen guten Tag und haben mit viel Selbstvertrauen und vor allem Disziplin gespielt. Wir haben auch gute Kombinationen gezeigt. Zidane war eine große Stimulanz für Frankreich, aber wir haben ihn sehr gut gedeckt.“

Für Olsen und Co-Trainer Michael Laudrup war es auch eine ganz persönliche Revanche für das 0:1 im EM-Eröffnungsspiel 1984 gegen den späteren Europameister Frankreich im Pariser Prinzenpark. Der damalige Torschütze und große EM-Star Michel Platini verfolgte nun das verzweifelte, aber fruchtlose Bemühen seiner Nachfolger um den unglücklichen Zidane mit Grauen von der Ehrentribüne aus. Die Dänen waren dagegen happy, auch wenn ihr Achtelfinal-Gegner am Samstag im japanischen Niigata England, Argentinien oder Schweden ist. Olsen gibt sich gelassen: „Hauptsache, wir kämpfen.“

Dänemark: Sörensen - Helveg, Henriksen, Laursen, Niclas Jensen - Rommedahl, Töfting (79. Nielsen), Poulsen (75. Bögelund), Gravesen, Jörgensen (46. Grönkjaer) - TomassonFrankreich: Barthez - Candela, Thuram, Desailly, Lizarazu - Makelele, Vieira (71. Micoud) - Wiltord (83. Djorkaeff), Zidane, Dugarry (54. Cisse) - TrezeguetSchiedsrichter: Melo Pereira (Portugal)Zuschauer: 45.000Tore: 1:0 Rommedahl (23.), 2:0 Tomasson (77.)

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