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Archiv-Artikel

Arbeitsgesellschaft ohne Arbeit Leere und Orientierungslosigkeit

Was tun, wenn der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht?, fragt Hannah Arendt in ihrer „Vita activa“ und ahnt das Schlimmste. Die weitaus meisten Menschen, an nichts weiter gewöhnt, zu nichts weiter befähigt als dazu, ihr eintöniges Tagewerk unter fremdem Kommando zu vollbringen, verfielen dann gänzlich dem Stumpfsinn: Unterhaltung around the clock als letzter Lebensinhalt. Sie geistig wieder aufzurichten, für sinnvollere Beschäftigungen zu gewinnen bedürfte es einer kulturellen Aristokratie, die der allgemeinen Vergottung der Arbeit widerstanden hätte. Und gerade daran herrscht in der modernen Lohnarbeitsgesellschaft eklatanter Mangel. So fehlt der Befreiung von der Arbeit die Antwort auf die Frage nach dem Wozu, unten wie oben, und die letzten Gebildeten wenden sich mit Grausen von dem barbarischen Freiheitstaumel ab – „was könnte verhängnisvoller sein?“

Arendts düstere Prognose ist, zu einem Teil, dem Zustand der Lohnarbeitsgesellschaft geschuldet, den sie vor Augen hatte, dem extrem aufgespaltenen Arbeitsprozess, der lebenslangen Adaption an eine Teilfunktion, dem öden Repetitorium der Fließbandfertigung. Zum anderen Teil entspringt sie aber auch dem Snobismus der Gebildeten: Für Arendt besitzt Lohnarbeit weder Würde noch eigene Bewandtnis, außer der einen, nach Brot zu gehen, und so kommt ihr keinen Moment in den Sinn, dass der arbeitende Mensch, der seine Arbeit verliert, sehr viel mehr einbüßt als nur die Nahrungsquelle – eine ganze Welt ebenso dichter wie sinnhafter sozialer Bezüge.

Ihr Thema ist dagegen das kulturelle Drama (erzwungener) Nichtarbeit, sind Leere und Orientierungslosigkeit der unverhofft „Befreiten“, und damit trifft sie eine offene Wunde der Lohnarbeitsgesellschaft, die sich bis heute nicht geschlossen hat. Dass das animal laborans, aus seiner Arbeitsbahn geworfen, sich eines Tages zum Bürger, zum Menschen mausern könnte, hält sie für ausgeschlossen. Wem das Unglück, Arbeiter zu sein, erspart blieb, rettet sich, so gut er kann.

WOLFGANG ENGLER

Der Autor ist Soziologe und lehrt an der Schauspielschule „Ernst Busch“ in Berlin