Arbeiteranwalt in China: Sehnsucht nach Gerechtigkeit

Vom Schuharbeiter zum Barfußanwalt: Qi Yunhui kämpft für die Rechte der chinesischen Wanderarbeiter. Dabei hat er manch bürokratische Schikane zu überwinden.

Verlierer der Krise: Viele Wanderarbeiter werden entlassen und brauchen Rechtshilfe. Bild: dpa

"Anwaltspraxis für den Schutz der Arbeiter in Guangdong" steht auf seiner Visitenkarte. Wer ihn in seinem Büro im achten Stock eines Geschäftshauses der Industriemetropole Shenzhen im Süden der Provinz Guangdong aufsucht, trifft den 31-Jährigen hinter dem Computer an einem blitzblanken Schreibtisch an. Über ihm prangt unter der Überschrift "Rote Sonne" auf einem Poster Qis großes Idol: Staatsgründer Mao Tse-tung.

Qi ist in diesen Tagen stark beschäftigt. Immer wieder rufen ihn Arbeiter an, weil sie sich betrogen fühlen: "Einer fand in seiner Lohntüte plötzlich nur noch den gesetzlichen Mindestlohn von 770 Yuan (ca. 83 Euro), obwohl er laut Arbeitsvertrag das Doppelte erhalten sollte", berichtet er. Eine Firma im Westen Shenzhens will gerade ihre gesamte Belegschaft auf die Straße setzen. Hier im Perlflussdelta, wo die Fabriken Schuhe, Spielzeuge, Elektronik und Kleidung vor allem für den Export produzieren, sind die Folgen der internationalen Krise unübersehbar. Der Computergigant Lenovo kündigte gerade an, dass er 2.500 (11 Prozent) seiner Beschäftigten entlassen wird. Insgesamt dürften schon mehrere Millionen arbeitslos geworden sein.

Als Reaktion auf diese Entwicklung haben die Provinzbehörden von Guangdong in dieser Woche erklärt, man werde die heimischen Unternehmer nach Kräften unterstützen, auch wenn sie gegen die Arbeitsgesetze und andere Vorschriften verstoßen. "Das ist gar nicht gut", sagt Qi erbittert. Gerade hat ein Schiedsgericht wieder zugunsten eines Unternehmens geurteilt, das einem Angestellten zwei Jahre lang die Überstundengelder vorenthalten hat. "Die Funktionäre haben dem Mann gesagt: Gib dich mit der Hälfte zufrieden, sonst siehst du keinen müden Yuan."

Qi kennt das Gefühl der Ohnmacht und des Zorns sehr gut, das viele seiner Anrufer treibt. Er selbst hat die Schule nie abgeschlossen und kam als Wanderarbeiter aus der zentralchinesischen Provinz Hubei nach Shenzhen, wo er 2002 einen Job in einer Schuhfabrik fand. "Wir haben damals 20 Stunden am Tag gearbeitet, für 700 bis 800 Yuan", erinnert er sich. Das sind nach heutigem Umrechnungskurs rund 90 Euro. Überstunden wurden nicht bezahlt. Qi gehört zu jenen, die sich wehren. Er schrieb einen offenen Brief an die Fabrikleitung, in dem er sich über Missstände in den Werkhallen beklagte, die Einhaltung der Arbeitsgesetze forderte und Vorschläge für eine effizientere Produktion machte. Mehr als hundert Kollegen setzten ihre Unterschrift unter das Schreiben. "Ich hatte schon in meiner Jugend immer eine große Sehnsucht nach Gerechtigkeit", sagt Qi.

Als er 2003 entlassen wurde, wollte die Firma keine Abfindung zahlen. Weil er sich keinen Rechtsanwalt leisten konnte, besorgte er sich juristische Lehrbücher und Gesetzestexte. "Ich habe nie an einer Hochschule studiert", erklärt Qi, der mit seinem exakten Kurzhaarschnitt, weißroter Krawatte, hellem Hemd und grauer Hose das Abbild eines aufstrebenden Anwalts gibt. "Mein eigener Fall war das Lehrgeld, das ich bezahlt habe, meine Universität ist das Leben." Seither hält Qi sich mit Rechtsberatung über Wasser. Er schreibt Beschwerdebriefe an Firmen und Arbeitsämter und vertritt seine Klienten vor Gericht. Von den offiziellen Gewerkschaften können sie wenig Hilfe erwarten. Der Plan, einen "Wanderarbeiterverein zur gegenseitigen Hilfe" zu gründen, in den jedes Mitglied 1 Yuan (8 Cent) einzahlt, scheiterte an der Polizei: "Wenn sich alle Wanderarbeiter organisieren und sogar streiken, dann würdet ihr die ganze Wirtschaft in Gefahr bringen", warnt man ihn. Qi hält sich an das Verbot. "Ich will ja nichts Illegales tun, sondern nur die Gesetze verteidigen."

In vielen Industriegebieten Chinas sind seit den Neunzigerjahren Arbeitervereine und Rechtshilfezentren entstanden. Viele bleiben unregistriert, weil die Behörden selbst organisierte Initiativen fürchten. Manche erhalten diskret Hilfe von Gewerkschaftern im Ausland und aus Hongkong. Sie schulen Arbeiter und tragen Informationen in die Fabriken. Wie viele Juristen und Gewerkschafter findet auch Qi die Arbeitsgesetze seines Landes "im Prinzip gut". Aber die Paragrafen werden oft unterlaufen: "Die meisten Leute kennen ihre Rechte noch nicht."

Besonders traurig fühle er sich, wenn die Gerichte es ablehnen, seine Fälle überhaupt anzuhören - oder ihm vorwerfen, er setze sich nur für die Wanderarbeiter ein, um sich zu bereichern. "Dann bin ich sprachlos", räumt der sonst so wortgewandte Qi ein. Nun hofft er, dass sich seine Landsleute auf den alten Mao besinnen. Der hat ständig vom Klassenkampf gesprochen. Qi: "Das war doch nicht falsch."

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